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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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verziert wie so viele alte Schriften. Diese Schrift konnte sie lesen!, frohlockte Julie. War das etwa … Rosannas Handschrift? Hastig angelte Julie auf der anderen Bettseite nach den Tagebüchern und schlug eins davon auf. Treffer!
    Â»O Rosanna, ich danke dir!« Unwillkürlich entfuhr ihr ein tiefer Seufzer der Erleichterung. Dass sie die Schrift in den Tagebüchern nicht würde entziffern können, war eine ihrer größten Sorgen gewesen. So groß, dass sie es nicht gewagt hatte, bei Antonia einen Blick in eins der Tagebücher zu werfen. Nun aber …
    Julie schlug die nächste Seite des Fotoalbums auf. Das Hotel! Sie lächelte. Wie der alte Hof sie anschaute! Ja, so war es und nicht umgekehrt! Wie stolz er dastand, sich jedes seiner Hunderte von Jahren bewusst, die Fenster fahlweiß im Sonnenglanz, das tief gezogene Dach im Kontrast dazu tiefschwarz. Dazu die Tür, die so viel breiter war als bei jenen Höfen, an denen sie auf ihrer Fahrt durch den Schwarzwald vorübergefahren war. Ein Haus, das einen willkommen hieß. Hatte Rosanna die Tür extra für die Hotelgäste erweitern lassen? Julie blätterte eine Seite weiter.
    Wieder das »Kuckucksnest«. Diesmal eine Nahaufnahme. Nur die Eingangstür, davor eine Hand voll Leute, zu deren Füßen sich Koffer stapelten: an- oder abreisende Gäste, die voneiner Frau mit blondem Zopf begrüßt oder verabschiedet wurden. War das etwa Rosanna? Ein leichter Schauer durchfuhr Julie. Wenn ja, dann war sie eine ungewöhnlich schöne Frau gewesen … Mit weit auseinander stehenden, strahlenden Augen, hohen Wangenknochen und einer schmalen Nase. Ihre Lippen waren voll, aber nicht so voll, dass man sie als besonders sinnlich bezeichnet hätte. Sie reckte ihr Kinn nach oben, ihr Lachen war frei und natürlich – sehr ungewöhnlich für Fotografien aus dieser Zeit, schoss es Julie durch den Kopf. Ungeduldig blätterte sie weiter.
    Wieder die Frau mit den hellen Haaren. Diesmal ein Porträt. Vor … einem Tennisplatz! Im Hintergrund waren verschwommen kleine Gestalten in weiten, weißen Röcken zu sehen. Frauen, die Tennis spielten – unglaublich! Wie das Spielfeld wurde auch die Fotografie vom Netz in der Mitte geteilt. Und davor Rosanna – es musste einfach Rosanna sein! – ganz nah. Kein Lächeln diesmal. Ein Blick, der in die Ferne zu gehen schien. Suchend, vielleicht auch fragend, aber nicht unzufrieden. Die Lippen nicht verkniffen, aber geschlossen. Dies alles vermittelte den Eindruck einer ernsten und verantwortungsvollen Frau.
    Es war seltsam: Die Fotografie strahlte im selben Maße Wärme aus, wie sie den Betrachter auf Distanz hielt. Sie verleitete dazu weiterzublättern, man wollte mehr erfahren über diese Frau, dieses Gesicht.
    Julie ließ das Album gedankenverloren sinken.
    Gab es auf dem Gebiet der Fotografie etwas Schöneres als diese alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen, von denen jede einzelne eine besondere Komposition, ein Kunstwerk war?
    Julie schlug die Seite um. Noch mehr Fotografien. Auf einigen davon Rosanna mit einer zweiten Frau. Keine Schönheit, weiß Gott nicht! Schmal, mit hängenden Schultern und krausem Haar, das wie das Nest eines Vogels aufgetürmt war. Ein paar Strähnen, die über eine hohe Stirn fielen. Der Mund nur ein dünner Strich, der sich auf der linken Seite leicht nach unten neigte. Antonias Mutter Simone? Bestimmt.
    Wie sie Rosanna anstarrte! Voller Ehrfurcht. Nein, nicht auf dem nächsten Bild. Eher voller … tiefer Zuneigung? Ein Blick, so eindringlich, fast hypnotisierend. Diese zweite Frau schien ihre Umgebung nicht wahrzunehmen, hatte nur Augen für Rosanna. Im Hintergrund ein Speisesaal mit weiß gedeckten Tischen und Kerzenlicht, und war das nicht ein Geiger, der ganz hinten in der Ecke den Gästen aufspielte?
    Rosanna und Simone neben einer offenen Pferdekutsche.
    Rosanna und Simone neben einem Mann in Kniebundhosen und mit einem Hut mit Gamsbart, eine Flinte unterm Arm. Simone hatte den Arm besitzergreifend um Rosannas Schultern gelegt, als wolle sie die Freundin vor dem Mann mit der Waffe schützen. Wer war der Mann?
    Simone war anscheinend nie besonders wohl dabei gewesen, fotografiert zu werden. Wann immer sie in die Kamera schaute, blickte sie erschrocken wie ein Hund, der Prügel erwartet. Waren ihre Augen jedoch auf Rosanna gerichtet, schien sie die

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