Antonias Wille
Lotterleben bald ein Ende haben.« Mehr sagte er nicht. Komisch ist er schon, dachte ich abermals.
Ein paar Tage später lieà Franziska Breuer die Katze aus dem Sack: Kathi würde den Gerhard heiraten, und zwar gleich zu Beginn des neuen Jahres. Plötzlich verstand ich auch Karls Bemerkung: Katharina war guter Hoffnung. Daher rührte Franziskas düstere Miene in den Tagen zuvor! Natürlich sagte keiner laut, dass Kathi schwanger war. Jeder tat so, als ob die Hochzeit zwischen ihr und dem Müllersohn längst abgemachte Sache gewesen sei. Noch vor Weihnachten schickten Breuers den Hochzeitslader aus. Wenn dieRombacher über den ungewöhnlichen Termin tuschelten â eigentlich wird ja immer nur zwischen Ostern und Sommer geheiratet â, so bekam ich nichts davon mit. Wenn ich nicht gerade Brot buk, musste ich die Wäsche machen oder in der Küche helfen. Und jeden Dienstag ging ich jetzt zu Karl auf den Moritzhof. Es gab viel Arbeit, aber ich tat sie gern. Ausgenutzt fühlte ich mich damals nicht, auf diesen Gedanken kam ich erst viel später. Auch dass ich vor lauter Arbeit auÃer den Breuers kaum jemanden zu sehen bekam, fand ich nicht ungewöhnlich â ich kannte es schlieÃlich nicht anders. Näheren Kontakt zu den Rombachern bekam ich erst, als Kathi in die Mühle zog und ich abends in der Wirtsstube bedienen durfte â¦
Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Durch die bunten Fensterscheiben warf die Sonne rote und blaue und gelbe Lichtstrahlen, die auf den Rücken der Leute tanzten. Während der Organist die ersten Akkorde anschlug, schaute sich Simone unter niedergeschlagenen Lidern um. Alle waren sie da: die verhassten Schulkameraden mit ihren Familien, der Bürgermeister, der Eisenwarenhändler, aber auch einfache Leute â Bergbauern und Weber aus den umliegenden Berghöfen. Kathi saà zusammen mit ihrem Ehemann und der Müllerin zwei Reihen vor Simone. Jene hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass jetzt eigentlich Kathi die Müllerin war. Genauso wenig wie an den dicken Bauch, den Kathi vor sich her trug. Der käme von ihrem groÃen Appetit, erzählte sie jedem, und dass mit dem Kind erst im September zu rechnen sei, aber Rosanna hatte Simone gegenüber geäuÃert, dass es bestimmt schon im Juni zur Welt kommen würde. Simone verzog spöttisch den Mund. Da hatten die Leute bald was zu reden â und es geschah der dummen Gans recht! Aber eigentlich war sie über den Lauf der Dinge froh. Jetzt, da Kathi nicht mehr unter ihrem Dach lebte, konnte die Schwester sie nicht mehr dauernd quälen. Und zu Kathis Hochzeit hatte Simonesogar Schuhe bekommen und durfte nun sonntags mit in die Kirche gehen.
Schade nur, dass Rosanna heute nicht dabei sein konnte. Mutter hatte sie mit dermaÃen vielen Aufgaben für das Ostermahl in der Wirtsstube betraut, dass sie wahrscheinlich nicht einmal zum Luftholen kam. Bei diesem Gedanken befiel Simone ein schlechtes Gewissen. Hätte sie nicht besser auf den Kirchbesuch verzichten und Rosanna helfen sollen? Doch dann tastete sie in ihrer Rocktasche vorsichtig nach dem Ei, das sie vom Pfarrer weihen lassen und später dann Rosanna schenken wollte. Ohne die Weihe war es kein wertvolles Geschenk, und sie wollte Rosanna doch etwas Wertvolles schenken, rechtfertigte sie ihre Entscheidung zum wiederholten Mal. Wenn sie Geld besäÃe, hätte sie der geliebten Freundin mehr geschenkt als nur ein Ei. Eine Spange für ihr Haar vielleicht, das in der Sonne immer so schön glänzte. Oder ein Marienbild, das sie auf ihrem Nachttisch hätte aufstellen können. Oder ⦠Doch mehr fiel Simone nicht ein. Dass es jemanden gab, der sie liebte und den sie ebenfalls liebte, sogar mehr als ihr Leben, daran musste sie sich erst noch gewöhnen.
Das erste Lied, ein Lobgesang auf den Leib Jesu, verklang in diesem Moment. Die Ministranten hatten sich rings um den Pfarrer aufgestellt. Er begrüÃte nun die Ostergemeinde mit seiner krächzenden Stimme, die nach jedem zweiten Satz brach, woraufhin er sich stets lange und ausgiebig räuspern musste.
Doch Simone störte sich nicht daran. Sie liebte den Kirchgang! Die reich verzierten Kerzen am Altar, das schöne Gewand des Pfarrers, die vielstimmigen Gesänge, der Weihrauch ⦠Und alle Menschen saÃen beieinander, teilten den Leib Jesu und gehörten zusammen. Wenn dann der
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