Antonias Wille
herunterspielten.
In jedem Fall war es das Mindeste, dass auch sie, Simone, auf die Freundin Acht gab.
Ach, wenn der Vater nur nicht so gemein wäre und sie ständig in die Reutberge schickte! Während ihr Buckel durch die vollen Dungeimer krumm wurde, machte sie sich fast verrückt vor Sorge um Rosanna. Nur an den Tagen, an denen Zacharias nach Schwend fuhr, um Bier zu holen, war ihr Herz leichter, denn dann drohte schlieÃlich keine Gefahr.
Die Gemeinde stimmte nun ein neues Lied an, und um die unseligen, Furcht einflöÃenden Gedanken loszuwerden, fiel Simone mit mehr Leidenschaft als Talent in den Gesang ein. Sofort kassierte sie einen Rippenstoà von ihrer Mutter. Leiser singen! bedeutete er. Simone verstummte. Es war ohnehin nur ein kurzes Lied.
Der Pfarrer begann anschlieÃend mit seiner Predigt. Simone liebte es besonders, wenn er vom »Zorn Gottes« sprach. Und das tat er oft und gern. Den Zorn Gottes â ja, den wünschte sie vielen Menschen! Dass es ihn gab, dafür war sie immerhin das beste Beispiel. Wie hatte ihre Mutter noch gesagt?
»Gottes Zorn hat mich für meine Sünden gestraft, als er mir Simone schickte.«
Heute sprach der Pfarrer jedoch nicht vom Zorn Gottes, sondern von der Herrlichkeit des Eis. Ein Ei werde zwei Mal geboren, sagte er, einmal, wenn die Henne es legte, und das zweite Mal, wenn es ausgebrütet war. Damit aus dem toten Ei aber ein Junges schlüpfen, damit aus dem glitschigen Eiweià und dem Dotter ein wunderschöner Vogel werden könne, müsse die Henne es wärmen. Und erst wenn es zerbräche, könne neues Leben entstehen. An dieser Stelle räusperte sich der Pfarrer lange und ausgiebig. Der Mensch sei wie ein Ei, fuhr er dann fort. Auch er müsse erst zerbrechen, also sterben, um in Jesus Christus neu geboren zu werden.
Simones Augen glänzten, als der Pfarrer den heiligen Pauluszitierte. »Wer wird mich von dem Leib dieses Todes befreien?« , hatte dieser einmal gesagt. O ja, sie kannte Paulusâ Qualen, sie kannte sie sehr gut! Ihr ganzes Leben war furchtbar verlaufen, eine immer währende Qual, voller Zweifel und Fragen. Aber ihre Qualen hatten nun ein Ende ⦠Simone lächelte vor sich hin.
Sie würde wohl nicht als Fasan oder Papagei enden, in deren wunderschöner Erscheinung die guten Menschen laut den Worten des Pfarrers einstmals auferstehen würden. Simones Hülle war schlieÃlich immer noch dieselbe. Aber innerlich fühlte sie sich vollständig verändert. Sie wartete darauf, dass der Pfarrer auch eine Bemerkung in diese Richtung machte. Und tatsächlich, kurz darauf sagte er, dass aus dem Ei keine Käfer oder Kröten oder Frösche schlüpften, sondern geflügelte Wesen, die sich gen Himmel erheben konnten.
In Simones Brust wurde es ganz warm. Ja, auch sie konnte fliegen, sie war frei in ihren Gedanken.
Der Pfarrer sprach davon, dass das Ei, das man sich zu Ostern schenkte, ein Sinnbild purer Lebensfreude und hoffnungsvoller Erwartung sei.
Das Ei in Simones Rocktasche war inzwischen durch ihre Körperwärme warm geworden. Sie seufzte wohlig bei dem Gedanken, dass sie später der Freundin die geweihte Gabe überreichen würde.
In einem Punkt hatte der Pfarrer allerdings Unrecht: Man musste nicht erst im Grab liegen, um neu geboren zu werden. Dasselbe konnte schon auf dieser Welt geschehen. Denn sie, Simone, war bereits neu geboren, sie war auferstanden.
Rosannas Liebe hatte sie auferstehen lassen. Jesus Christus hatte ihr einen Engel geschickt.
Ich bediente gern in der Gaststube. Zum einen war ich dann mit Zacharias zusammen, zum andern machte mir die Arbeit viel SpaÃ.
Wenn sich die Tische füllten und ich den Leuten Teller mit dampfendem Sauerkraut oder Kartoffelsuppe und dicke Scheiben Brot mit Schinken hinstellte, wenn am Ende alles bis auf den letzten Krümel aufgetunkt war, dann wusste ich, dass sich alle wohl fühlten. Das Servieren war für mich keine Arbeit wie das Brotbacken oder Wäschewaschen, es war völlig anders. Jeder Mensch, der Woche für Woche in den »Fuchsen« kam, brachte eine kleine Welt mit. Und jeder erwartete, dass man auf ihn und seine Welt einging. Darin war ich gar nicht mal so ungeschickt: Wenn sich einer auf der Durchreise befand und lediglich für eine warme Mahlzeit Rast machte, sah ich zu, dass er besonders zügig bedient wurde. So einer wollte nicht viel reden. Die Gäste, die
Weitere Kostenlose Bücher