Antonias Wille
man meinen, einer von euren feinen Gästen hat dir den Kopf verdreht! Ich sage dir eins: Die Uhrenhändler sind die gröÃten Lumpen. Bilden sich was ein, weil sie so viel in der Welt herumkommen und weil sie immer ein Bündel Geldscheine im Sack haben. So einer säuselt natürlich besonders süÃe Worte, nicht wahr?«, polterte er drauflos.
»So ein Blödsinn! Ich lass mir doch nicht den Kopfverdrehen!«, erwiderte Rosanna und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.
»Solch ein fahrender Händler hat fast in jedem Dorf eine sitzen!«, fuhr Moritz fort, als hätte Rosanna gar nichts gesagt. »Und so manche ist dabei unglücklich geworden.«
Unglücklich ⦠Von wegen, Rosanna war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen.
»Franziska hat schon ein Auge darauf, dass ich mit den Gästen nicht zu lange schwatze, da brauchen Sie keine Angst zu haben. Es ist nur zurzeit ziemlich viel los, vielleicht bin ich deswegen ein bisschen durcheinander.« Diese Ausrede hörte sich selbst in ihren Ohren recht lahm an. Trotzdem fuhr sie fort: »Zacharias hat zwar gesagt, dass es nach Ostern im Wirtshaus ruhiger wird, aber bisher ist nichts davon zu merken, ganz im Gegenteil! Es kommen immer mehr Leute. Und dass der Wirt ausfällt, das merkt man halt auch â¦Â«
»Ich sagâs doch, diese Gäste von weit her bringen Unruhe in unsere Gegend! Diese Leute leben nicht mehr im Einklang mit der Natur. Sie sind wie die Wolken: in ständiger Wanderung. Der Schwarzwälder dagegen ist wie ein Fels. Und ich sage dir noch was: Die Städter werden erst zufrieden sein, wenn sie unseren Wald vollends ausgeblutet haben. Wenn es kein Wild mehr gibt und keine Pilze und keine Beeren, von denen die Menschen leben können, wenn die letzten Waldflächen abgeholzt sind und kahl wie die Glatze eines alten Mannes. Dann können sie die Bauern in ihre Fabriken stecken und sie dort achtzehn Stunden am Tag schuften lassen!« Mit jedem Satz hatte sich Moritz mehr ereifert. Jetzt zog er hastig an seiner Pfeife.
Rosanna schaute ihn schräg an. »Nun ja, ich nehme an, dass nicht alle Gäste des âºFuchsenâ¹ so etwas im Sinn haben. Und gewiss sind nicht alle an der âºAusblutung des Waldesâ¹, wie Sie es nennen, beteiligt«, sagte sie.
Wenn sie jetzt nicht schnell vom Thema ablenkte, begann der alte Mann wieder mit einer seiner Predigten darüber, dass die Erde nicht ohne den Wald sein konnte und dass alle Menschen,die Bäume fällten oder auch nur das Harz der Bäume gewannen, Mörder seien. Mörder am Wald und Mörder an der Menschheit. Weil der Wald das für die Erde sei, was die Haut für die Menschen ist: ein groÃes Organ, das alles regelt. Und so weiter und so weiter.
Obwohl Rosanna diese Reden manchmal recht interessant fand, konnte sie sich gut vorstellen, wie sie in den Ohren der Rombacher klingen mussten, die froh über jeden Durchreisenden waren. Kein Wunder, dass die Leute den alten Moritz für einen verschrobenen Sonderling hielten! In Rosannas Augen war er allerdings ein netter Sonderling â wenn man ihn erst einmal ein wenig näher kannte. Jetzt fuhr sie rasch fort: »Gestern zum Beispiel â wir waren gerade bei der Morgenmahlzeit â klopfte es an der Tür, und als ich öffnete, stand ein Mann vor mir, der ziemlich seltsam aussah. Er war ganz in Schwarz gekleidet, als käme er direkt von einer Beerdigung. Und wie der ausgesehen hat, mit seinem langen, dünnen Bart bis auf die Brust hinab! Seine Lippen waren ganz farblos und schmal. Die Augen kniff er zusammen, als könne er nicht richtig sehen, dabei trug er eine Brille mit ganz dicken Gläsern. Irgendwie war er mir unheimlich. Er wäre der Schnider, sagte er und zeigte auf das riesige Bündel, das er auf dem Rücken trug, als ob damit alles erklärt wäre. Doch ich wusste bis dahin gar nicht, dass es reisende Schnider gibt, und hielt es für besser, erst einmal bei Ihrer Tochter nachzufragen, bevor ich den Mann ins Haus lieÃ. Dass ausgerechnet an diesem Tag der Schnider kam, passte der Wirtin nicht so recht in den Kram, wo es doch Gustav wieder schlechter ging und sie am Krankenbett Wache halten musste. Trotzdem bat sie ihn herein. Und dann war wie so oft der ganze Tag ein einziges Durcheinander â¦Â« Rosanna machte eine resignierte Handbewegung. Eigentlich liebte sie Trubel, aber das
Weitere Kostenlose Bücher