Antonio im Wunderland
Friseur jewesen?»
«Benno, wir haben uns sechs Jahre nicht gesehen,
inzwischen war ich ganz bestimmt mal beim Friseur.»
«Jaa, so is’ dat.»
«Und? Was macht deine Mutter? Alles gut zu Hau-
se?», fragt Sara, und Benno, der sich gerade das elfte
Mon Chéri reingepfiffen hat, antwortet mit vollem
Mund: «Ja, jut. An sich schlescht, nicht wahr. Die Mut-
ter stirbt so vor sisch hin, wat will’se machen, kannsse
nix machen.»
Sara ignoriert diese alarmierende Auskunft, aber sie
ist begeistert von der Kegelidee. Am frühen Abend wer-
den wir in Kegelmontur das Haus verlassen und zu-
nächst fein essen gehen, um danach ein Kegelvergnü-
gen zu erleben, wie man es nur selten hat. Im meinem
Fall sogar sehr selten, genau genommen habe ich in
meinem Leben nur ein einziges Mal gekegelt und dies
auch nur ganz kurz, auf einer Klassenfahrt.
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Zum Abschluss einer langweiligen Reise in die Eifel
gingen wir auf Vorschlag unseres Deutschlehrers zum
Kegeln. Er dechiffrierte in der Verrichtung des Kegelns
Motive aus der deutschen Romantik. Ich fand es eher
biedermeierlich, aber egal. Jedenfalls griff mein Deutsch-
lehrer in die Kegelstellmaschine der Kegelbahn ein, wor-
auf die Kegelstellmaschine der Kegelbahn in meinen
Deutschlehrer eingriff und ihm beinahe den rechten Arm
amputierte. Wer jemals einen Deutschlehrer mit fast ap-
pem Arm auf einer Kegelbahn hat herumtoben sehen,
dem vergeht die Lust am Kegeln, also ließ ich diesen ro-
mantischen Sport hinter mir.
Meine Schwiegereltern gehen alle zwei Wochen ke-
geln. Sie treffen sich dazu mit zwei weiteren Ehepaa-
ren, die sie aber nicht Freunde nennen, sondern Kame-
raden. Außerdem kommt Benno mit, ist ja klar. Nie ist
Antonio deutscher als beim Kegeln, früher war er sogar
Schriftführer, wurde aber wegen dreisten Mogelns und
ihn begünstigender Regelauslegung irgendwann durch
Herrn Wittek ersetzt, welcher als Kranführer schon be-
ruflich zu Genauigkeit verpflichtet ist. Frau Wittek hat
eine Frisur wie die Jacob Sisters und raucht Ernte 23,
eine Marke, von der ich nicht wusste, dass es sie über-
haupt noch gibt. Außerdem erscheint das Ehepaar
Köppen, bei denen sich Antonio und Ursula seit über
dreißig Jahren die Haare schneiden lassen. Wie ich er-
fahre, geht auch Frau Wittek in den Salon der Köppens,
die ganze Gemeinschaft ist also eine Frisuren-Clique.
In der Gaststätte Fuchsbau bestellen wir Schnitzel und Bier. Wir erhalten zum Essen standesgemäß so genann-45
ten Eimersalat. Ich liebe diesen Salat, es gibt ihn auch
auf den meisten deutschen Rasthöfen und überall sonst,
wo die deutsche Küche noch nicht in der Hand ayurve-
discher Küchenclowns ist. In einem tiefen Glasteller-
chen werden eiskalte Gemüsefragmente angerichtet,
die sämtlich aus weißen Eimern vom Großmarkt
stammen. Immer dabei: geraspelte Möhren und grüne
Bohnen in essigsaurem Dressing. Dann wird je nach
Region majonäsiger Kartoffelsalat dazugebatzt, manch-
mal gallertartige Selleriescheiben und Rote Bete, sowie
Krautsalat. Bedeckt wird diese nationale Schande von
einigen Blättern Kopfsalat, denen vorher in einem Sah-
nedressing die Vitamine entzogen wurden. Diese Kom-
bination hat einen Nährwert wie ein Bierdeckel. Super,
wirklich, ich sage nochmal: Ich liebe Eimersalat.
Dann geht es nach unten, auf die Bundeskegelbahn.
Hier riecht es wie in einem Männerwohnheim, das
Licht wird angeschaltet, und wir setzen uns an einen
langen düsteren Tisch. Wir bestellen über eine Edgar-
Wallace-Film-Gegensprechanlage Bier und eine Runde
Kleiner Feigling . Dieses Getränk gehört zum Kegeln wie der Eimersalat zum Schnitzel. Wer die Kugel in die
Rinne neben der Bahn wirft, muss eine Runde Kleiner
Feigling ausgeben. Bei Frau Wittek habe ich schnell den Eindruck, dass sie nur deswegen mitgekommen ist. Die
kleinen Schnapsfläschchen werden rhythmisch mit
dem Boden auf den Tisch geklopft und, wenn sich das
Geklopfe zur Raserei gesteigert hat, der Inhalt hastig
und ohne zusätzliche Hirntätigkeit hinuntergestürzt.
Und dies von Erwachsenen, wie man an dieser Stelle
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betonen muss. Nicht nur die Darreichungsform, auch
der Geschmack dieser Spirituose gibt einem zu den-
ken. Kleiner Feigling schmeckt, als sei sein Rezept von alkoholkranken Vorschulkindern ersonnen worden.
Das Beste am Kegeln ist das Geräusch, wenn die Ke-
gel umfallen. Dieses Geklapper und Gerappel verschafft
einem die größte Genugtuung. Es stellt sich
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