Antonio im Wunderland
schnell
heraus, dass ich ein Kegeltalent bin, mehr noch: ein
Abräumer erster Klasse. Ich verblüffe damit insbeson-
dere die Damen und muss mich Frau Witteks Versuchen
erwehren, auf meinem Schoß Platz zu nehmen.
Meine Frau wirft beidarmig, was Herrn Köppen dazu
veranlasst, ihr bei jedem Wurf Hilfestellung zu geben.
Herr Köppen riecht, als würde er Haarfestiger trinken.
Antonio putzte die alle ab, wie er findet, und Ursula
nippt brav an ihrem Altbier. Sara und ich freuen uns
laut, wenn etwas gelingt, und Benno applaudiert uns,
was ich als Charme-Offensive werte und jedes Mal mit
ihm anstoße.
Es kommt nun zu einer verbissenen sportlichen Aus-
einandersetzung. Man könnte schon sagen, es ist
Kampfkegeln. Ein regelrechter Kegelkrieg, eine Kugel-
schlacht tobt im Keller der Traditionsgaststätte Fuchsbau . Die Herren Wittek und Köppen rollen mit der
schwerfälligen Eleganz von Tanzbären ihre Kugeln auf
die Bahn, während ich leichtfüßig meine Salven abfeu-
ere, beinahe schwerelos nach getanem Wurf abdrehe
und zu meinem Bierglas fliege. Benno gibt sich unbe-
eindruckt, er wirft konstant, aber ohne Technik, und
Antonio kopiert meinen Stil ohne auch nur annähernd
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seine Brillanz zu erreichen. Am Ende werde ich Vorletz-
ter, nur Sara trifft weniger.
Antonio gibt sich die größte Mühe, uns in das Ver-
einsleben zu integrieren, denn es gibt ja nichts Schöne-
res als Sport, besonders im Verein. Diese feierliche Ein-
gabe von Köppen quittiere ich mit einem lauten «Ja-
woll!» und bestelle mit den Worten «Mehr Obst!» sofort
noch ein paar von diesen köstlichen Feiglingen. Einige
mehr oder weniger gelungene Würfe später sind Sara
und ich Mitglieder in der Kegelbruderschaft «Die mun-
teren Sieben». Der Name wird allerdings deswegen
nicht geändert, weil wir erst wieder in vier oder fünf
Jahren mitspielen. Solange brauche ich noch, um mich
von Frau Wittek zu erholen. Auch von Mitgliedsbeiträ-
gen sind wir erfreulicherweise befreit, wie übrigens alle
Mitglieder, was dieser Geste etwas die Größe nimmt.
Der Abend endet mit für mich eindeutig zu drasti-
schen Fraternisierungsmaßnahmen der Ehepaare Wit-
tek und Köppen. Es wird ganz heftig umarmt, und der
Ernst, also Herr Köppen, freut sich, dass er die Jugend
für dieses schöne Spiel hat gewinnen können. Ermattet
sinke ich auf den Rücksitz von Antonios Auto.
«Und das macht ihr alle zwei Wochen?», frage ich.
Sara ist neben mir bereits eingeschlafen.
«Alle zwei Wochen», wiederholt Ursula.
«Ja, unde bald ist vorbei dafur», sagt Antonio.
«Was soll das heißen, es ist vorbei?», frage ich ihn.
Nicht dass ich jetzt noch zu längeren Diskussionen in
der Lage wäre, aber der Satz kommt schon komisch rü-
ber. Ich dachte, Kegeln macht ihm Spaß.
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«Liebe Jung, Kegeln iste fur Leute eine Ausgleich von
Arbeit und spezielle Uberanstrengung der sie haben in
Beruf.»
«Aha.» Ich habe nur die Hälfte begriffen.
«Und? Abbi ein Beruf?»
«Du bist Rentner.»
«Na also, siehste du, kanni mache wassi will und
muss nickte zum Kegeln gehen.»
«Aha. Und was wirst du jetzt machen mit deiner Frei-
heit?»
«Vielleickte schön verreisen?»
Ich ahne schon, was das bedeutet.
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TRE
Antonios neue Freiheit will natürlich mit einer Fahrt
nach Italien gefeiert werden. Seine Familie in Campo-
basso muss unbedingt in den Genuss seiner maßlos
guten Rentnerlaune kommen. Diese überschäumende
Mildtätigkeit kriegen Sara und ich als Erste zu spüren,
denn wir werden von ihm selbstverständlich eingela-
den, den Urlaub mit ihm zu verbringen. Das ist indes
nichts Ungewöhnliches, denn dieses Schicksal ereilt
uns jedes Jahr. Neu ist nur, dass er sich jetzt als deut-
scher Rentner bezeichnet.
Diese Ferien sind eine zweischneidige Sache. Einer-
seits sind sie immer sehr schön, andererseits gibt es kei-
ne Alternative dazu. Wenn man nämlich in eine italieni-
sche Familie einheiratet, steht fest, wo man in den kom-
menden fünfzig Jahren den Urlaub verbringt. Das klingt
deprimierend, und das ist es auch, schließlich kommt
man nicht auf die Welt, um den Rest seines Lebens unter
ein und demselben Sonnenschirm zu sitzen und darauf
zu wetten, ob Tante Maria vor dem Essen in der Sonne
schmilzt oder nach dem Essen im Schatten platzt. So ei-
ne Familie beraubt einen auch der Chance, sich mal Tan-
ten in Spanien oder Kanada oder Finnland anzusehen.
Ich nehme zu meiner Beruhigung an, dass Tanten
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