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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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zu gestresst sei, um in einen Entspan-
    nungszustand zu kommen. Dabei seien wir hier doch
    in den Ferien.
    Morgens hatten wir Lachtraining bei einer Betriebs-
    nudel in Bermudas, die von sich preisgab, dass sie frü-
    her Pharmazievertreterin im Hessischen gewesen sei.
    Wir mussten uns in einem Kreis aufstellen und uns an-
    lachen. Hahaha. Zum Ende der Stunde schärfte sie uns
    ein, anstelle von Wortbeiträgen in Unterhaltungen ein-
    fach mal spontan laut zu lachen, das mache gute Lau-
    ne. Außerdem forderte sie uns auf, unseren Alltag auch
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    öfter mit einem Lachen zu kommentieren und dies hier
    im Club zu üben.
    Nach dem Lachtraining ging meine Frau zum Töp-
    fern und ich zum Golf, wo ich – hahaha – den Abschlag
    übte. Nach dem Mittagessen machten wir Fahrradtou-
    ren oder ließen uns – hahaha – warmes Speiseöl über
    den Kopf gießen. Dann gab es noch Massagen, Kite-
    Surfen, Tauchen, Tennis und – großes Hahaha – Nor-
    dic Walking. Abends nach dem Essen traf man sich
    topgelaunt in einer Bar auf dem Clubgelände, wo die
    männlichen Lachsäcke versuchten, meine Frau zum
    Geschlechtsverkehr zu überreden. Hahaha.
    Wir stellten rasch fest, dass dieses Amüsierghetto
    nicht nur gänzlich ungeeignet für Familien, sondern
    generell für Paare war. Einzig mit Samen bis zum Hals
    gefüllte allein stehende Männer und daran interessierte
    Single-Frauen würden sich hier wohl fühlen. Nach zwei
    Wochen, in denen ich lachend verteidigte, was ich
    mühsam geheiratet hatte, fuhren wir wieder nach Hau-
    se. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als meine an-
    strengende Sippschaft aus Campobasso zurück. Ich
    schwor, ihr niemals mehr untreu zu werden.

    Aber selbst wenn es uns auf dieser Porno-Hacienda su-
    per gefallen hätte: In diesem Jahr könnten wir gar nicht
    vor Campobasso kneifen, denn es heißt, dass wir wo-
    möglich die letzte Chance haben, Nonna Anna noch
    einmal zu besuchen. Das heißt es zwar in jedem Jahr,
    aber das bedeutet nur, dass dieses Argument immer
    stichhaltiger wird.
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    Nonna Anna ist eine wunderbare alte Frau, die nur
    aus Sehnen und pergamentener Haut zu bestehen
    scheint. Auf dem Kopf hat sie eine Art Dutt, und sie
    trägt eine Hornbrille, die viel zu schwer für ihre kleine
    Nase ist. Wenn sie die Brille abnimmt, bleiben rote
    Druckstellen. Nonna Anna verfügt über mehrere Kittel-
    schürzen, einen kleinen Spitzbauch und über 400 ver-
    schiedene Nudelrezepte, die sie alle im Kopf hat. Sie
    kann gnocchi selber machen, und wenn sie die kleinen Klößchen mit den Fingerspitzen rollt, kann man gar
    nicht sehen, wie diese eigentümliche Form entsteht, so
    schnell geht das.
    Sie besitzt einen trockenen Humor und mehrere
    Furcht einflößende Gemälde, auf denen Kinder zu se-
    hen sind, die vor dunklen Hintergründen stehen und
    Tränen in den Augen haben. Im Gästezimmer hängt
    eines mit einem blonden Jungen, der ein Glas Milch in
    der Hand hält und weint.
    Und noch ein Umstand macht es uns unmöglich,
    Antonios großzügiges Angebot auszuschlagen: Vor
    kurzem hat sich die Familie Marcipane um ein Mitglied
    vergrößert. Dem Ehepaar Pamela und Paolo wurde ein
    Sohn namens Primo geschenkt. Geburten passieren da
    unten recht oft, aber da wir schon bei der Hochzeit der
    beiden eingeladen waren, müssen wir auch an allen
    weiteren Höhepunkten ihres Lebens teilnehmen. Pa-
    mela ist die Tochter von Maria und Raffaele Marcipane.
    Antonio ist also ihr Onkel, und Sara ist ihre Cousine,
    und ich hänge irgendwie da dran.
    Ich packe also wie immer unser Auto. Wir haben ei-
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    nen recht geräumigen Wagen, und zwar deshalb, weil
    ich auf Reisen gerne meine eigene Matratze dabeihabe.
    Meine Bemühungen, Italien ohne Bandscheibenschä-
    den zu verlassen, haben sich als tölpelhafte Versuche,
    das Schicksal herauszufordern, entpuppt. Ich lag zum
    Schlafen schon auf Luftmatratzen, auf aufgeblasenen
    Gummitieren, auf Strohmatten, auf Betonbänken, auf
    dem Boden, auf Handtüchern, auf meiner Frau und na-
    türlich in Betten. Letzteres funktionierte leider nicht.
    Ich schlief nicht auf, sondern in weichen Matratzen,
    die mich umgaben wie die Fruchtblase den Fötus. Ich
    habe auf Fernsehsesseln, auf Küchenstühlen und quiet-
    schenden Stahlfedern gelegen, die sich in meinen Rü-
    cken bohrten. Nach dem Urlaub kam ich jedes Mal ge-
    krümmt wie ein Olivenbaum nach Hause.
    Ich habe also ein Auto angeschafft, dessen Ladeka-
    pazität wir genau zweimal im Jahr benötigen, nämlich
    wenn wir nach

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