Antonio im Wunderland
dich, und ich
werde aussehen, wie du mich haben möchtest.
Auch heute ist es viel zu warm für die Jahreszeit,
womöglich sogar wärmer als in Neapel. Das steigert die
Wanderlust. Je näher wir Antonios Mekka Little Italy
kommen, desto besser wird seine Stimmung. Wir mar-
schieren die Bowery hinunter, eine Gegend, die so gar
nichts gemein hat mit dem New York, das sich wenige
Kilometer weiter nördlich herausputzt wie eine Prosti-
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tuierte für eine Silvesterparty. Die Straße ist breit, aber leer, die Häuser ducken sich im Schatten der Wolkenkratzer, und die Geschäfte machen nicht den Eindruck,
als seien sie wegen Überfüllung geschlossen. An der
Ecke Bowery und Zweite Straße bleibt Antonio auf ein-
mal wie angewurzelt stehen. Er weigert sich, auch nur
einen Schritt weiterzugehen, stattdessen blickt er hyp-
notisiert auf das Straßenschild. «Joey Ramone Place»
steht da. Ramone? Klingt das nicht sehr vertraut? Ita-
lienisch. Antonio ist zu Hause. Denkt er jedenfalls.
«Joey Ramone war ein Legende», beginnt er zu do-
zieren. «War der erste Burgermeiste von italienische
Herkunfte und bewirkte so viel gute Sache, dass man
hier ihn zu Ehre ein Straß benannte.»
Ich widerspreche nicht, denn in einem hat Antonio
Recht: Joey Ramone war wirklich eine Legende 1 . Und es 1 Joey Ramone wäre natürlich niemals Bürgermeister von New York geworden. Sein wirklicher Name war Jeffrey Hyman. Er wurde am 19. Mai 1952 in Forest Hills in Queens geboren. 1974 gründete der Sänger mit Johnny Ramone (eigentlich John Cummings, geboren am 8. Oktober 1951 auf Long Island), Dee Dee Ramone (bürgerlich: Douglas Colvin, geboren am 18. September 1952 in Fort Lee, Virginia) und Tommy Ramone (hieß in Wahrheit Tom Erdelyi,
geboren am 28. Januar 1952 in Budapest) die Punkband «The Ramones». Ihre Namen liehen sie sich bei Paul McCartney, der sich in der Frühzeit der Beatles für eine kurze Zeit so genannt hatte. Dieser Name führt übrigens bis heute immer mal wieder zu der irrigen Annahme, dass Phil Ramone etwas mit den Ramones zu tun hat. Es handelt sich aber dabei um einen Musikproduzen-ten, der für die Schallplattenindustrie so etwas ist wie Jerry Bruckheimer für den Film: Phil Ramone produzierte unter anderem Rod Stewart, Billy Joel, Chicago und Patricia Kaas. Egal. Die Ramones brachten es jedenfalls fertig, fast drei Jahrzehnte lang 233
ist auch nicht mehr weit von hier bis Little Italy, also lassen wir das mal gelten. Ist auch viel besser für Antonios
Stimmung. Hier gibt es Läden, in denen man alte Re-
stauranteinrichtungen kaufen kann, Großküchengeräte,
gastronomische Kaffeemaschinen. In einem Schaufens-
ter erspäht Antonio ein gigantisches Modell Marke Pavo-ni , was ihm beinahe das Herz bricht, denn sie ist viel zu groß und zu teuer, um sie zu kaufen. Rauchverzehrer
sehe ich nicht, aber Benno ist ja schon bedient.
Die Suche nach Little Italy gestaltet sich im weiteren
Verlauf als überaus schwierig, denn Little Italy ist ver-
schwunden. Nicht mehr da. Ausradiert. Dort, wo es
laut Karte eigentlich sein sollte, ist Chinatown. Überall
immer mit den gleichen Pilzkopf-Frisuren und Klamotten in der Öffentlichkeit aufzutauchen, und veröffentlichten in 22 Jahren und unterschiedlicher Besetzung 13 Alben, bevor sie sich 1996
trennten.
Am 19. Januar 1998 wurde Joey Ramone mit Verdacht auf Blut-krebs in ein New Yorker Krankenhaus eingeliefert. Er starb am 15. April 2001 mit 49 Jahren. Ein knappes Jahr später verblich auch Dee Dee Ramone, ebenfalls 49 Jahre alt, allerdings an einer Überdosis Drogen und in Hollywood. Johnny Ramone folgte am 15. September 2004 mit 55 Jahren, er litt an Prostatakrebs. Eine Wiedervereinigung der Band gilt als ausgesprochen unwahrscheinlich.
Joey Ramone und seine Verdienste um die Musikkultur der Stadt New York würdigend, wurde am 30. November 2003 die Ecke Se-cond Street und Bowery in Joey Ramone Place umbenannt. Der Joey Ramone Place liegt gleich neben dem CBGB’s, einem Musik-club, in dem die Ramones ihre Karriere starteten. Und was lernen wir daraus? Wenn man als Popmusiker auf ein postumes Stra-
ßenschild aus ist, sollte man Sänger einer Band sein, niemals Schlagzeuger, Bassist oder Gitarrist.
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ist Chinatown, und das hat auch einen beträchtlichen
Reiz, wenn man einen chinesischen Schwiegervater
hat. Habe ich aber nicht. Meiner nörgelt und jammert
und klagt darüber, dass sein Eldorado offenbar dem
Kommerz geopfert wurde und man so wohl
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