Antonio im Wunderland
besitzen, dann haben Sie Geschmack – und eine Stromrechnung wie Cae-sar’s Palace .
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halten hat. Jürgen hat solche Flaschen jedenfalls nicht.
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Kerze als
elektrische Lampe, wie bei einer Weihnachtsbaumbe-
leuchtung. Zu dieser Tageszeit ist sie aber ausgeschal-
tet. Ich sehe mich um, aber außer uns kann ich keine
Gäste entdecken. Das ist nicht unbedingt ein gutes Zei-
chen in einer Millionenstadt. Benno geht und sucht die
Toilette.
Wir warten nicht lange, dann kommt ein richtig
klassischer Mario. Ein klassischer Mario ist ein dickli-
cher Südländer mit meist rundem Gesicht, dichtem
schwarzem Haar und einem lustigen neapolitanischen
Räuberschnauzbart. Er trägt eine schwarze Hose und
ein weißes Hemd, beides sehr, man möchte sagen: zu
eng. Auf Antonios erfreute landsmannschaftliche Be-
grüßung antwortet er noch akzentfrei, doch dann geht
es in sprachliche Feinheiten und mit Marios Italienisch
bergab. Es zeigt sich schnell, dass er ungefähr so gut
Italienisch spricht wie ich, allerdings mit einem osteu-
ropäischen Akzent. Antonio fragt ihn, ob er denn nicht
aus Italien komme, und der leicht peinlich berührte
Ober antwortet, dass er aus Ungarn sei. Selbstverständ-
lich kennt er keinen Gast namens Mauro Conti. Dann
nimmt er unsere Bestellung entgegen und zieht ab.
«So eine Aschelocke», zischt Antonio.
Das finde ich ungerecht. Der Mann sieht absolut rol-
lenkonform aus. Okay, man hätte beim Casting darauf
achten können, dass er auch Italienisch spricht, aber
ansonsten ist er perfekt. Ich muss ihn in Schutz neh-
men. Aber Antonio ist unversöhnlich.
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«Das sinde Betruger, Gaune sindas.»
«Ach komm! Ich finde es sehr hübsch hier.»
Benno hat den Kellner auf dem Rückweg vom Klo
abgefangen und Pasta sowie Pizza und Kalbsschnitzel
bestellt. Auf Deutsch, aber es hat geklappt. Wahrschein-
lich kommen hier mehr Deutsche als Italiener hin.
«Dat Klo is’ pickobello.» Er zeigt mir den erhobenen
Daumen, Zeichen seiner äußersten Wertschätzung. Das
ärgert Antonio nur noch mehr.
«Das iste Spiegelung von Tatsache.»
«Du meinst Vorspiegelung falscher Tatsachen. Jetzt gib
ihnen doch eine Chance. Vielleicht ist das Essen ja gut.»
«Wahrscheinliche iste der Koch ein Spanier.»
«Wart’s ab.»
Mit einem hörbaren «klack» schaltet der Kellner un-
sere Tropfkerze sowie alle anderen im Restaurant an.
Sie geben ein irgendwie beunruhigendes Licht. Eigent-
lich fehlen jetzt nur noch original italienische Famili-
engeräusche und Mopedgeknatter vom Band.
Das Essen kommt innerhalb weniger Sekunden und
stellt sich als so abgrundtief erschütternde Pampe he-
raus, dass nicht einmal Benno seine Bestellung kom-
plett hinunterbekommt. Die Sauce und die Pilze auf
meinen Linguini, die in Wirklichkeit Spaghetti sind,
kommen aus der Plastiktüte und wurden offenbar in
der Mikrowelle erhitzt und dann über Nudeln aus dem
Kühlschrank geschüttet. Der Käse auf der Pizza ist
Gouda und das Kalb an Altersschwäche gestorben, be-
vor man es seiner zähen Lenden beraubte.
Antonio sieht seinen persönlichen Stolz verletzt,
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zumal auch der Wein ungefähr so italienisch ist wie der
Super Bowl. Das Unheil nimmt seinen Lauf, denn der
ungarische Italiener weiß nicht, was Amaro ist. Anto-
nios gestenreiche Versuche, ihm dies zu erklären, quit-
tiert er mit einem an Gleichgültigkeit nicht mehr stei-
gerbaren Schulterzucken. Dann bringt er drei Gläschen
Wodka und wenig später eine Rechnung, die den
Schluss nahe legt, ich hätte den Laden gerade gekauft.
Ich will sie schnell bezahlen, damit wir hier verschwin-
den können. Jetzt bloß keine Szene, einfach die Klappe
halten und die Kreditkarte rausrücken. In einem un-
aufmerksamen Moment entreißt mir mein auf Krawall
gebürsteter Schwiegervater die Rechnung und bricht in
ein amtliches Geheul aus, dessen Übersetzung in etwa
lautet, dass er sofort den Patron zu sprechen wünscht.
Dieser erscheint in Gestalt des albanischen Kochs, der
mir unmissverständlich klar macht, dass wir entweder
zahlen oder sterben. Ich ziehe das Leben vor und reiche
dem Ungarn meine Kreditkarte, die Antonio ihm aus der
Hand fischt, um damit zu türmen. Aber er kommt nicht
weit, weil der Koch ihn an der Jacke erwischt und unter
lautem Gezeter festhält, während Benno den Albaner als
«Lump, Flegel und Mörder» beschimpft. Tatsächlich ist
zwar unser Mittagessen das Einzige,
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