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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Benno?»
    Schließlich höre ich etwas im Bad. Der Drehknauf
    bewegt sich. Vorsichtig wird geöffnet, und Bennos
    Pferdeschädel schiebt sich zwischen Tür und Rahmen.
    Er sieht vollkommen verstört aus.
    «Was ist denn los, Mann? Ich kriege Angst, wenn du
    nichts sagst.»
    Im Bad ist es stockdunkel. Er winkt mich hinein.
    Was ist bloß in den gefahren? Da sehe ich, dass am En-
    de des Raums zwei orangene Punkte leuchten. Es sind
    Augen. Als ich das Deckenlicht anknipse, verstehe ich,
    warum Benno nicht vom Klo gekommen ist. In einem
    kleinen weißen Regal unter dem Fenster steht ein zau-
    berhafter Rauchverzehrer.
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    TWELVE
    Benno ist selig. Pino hat ihm den Rauchverzehrer ge-
    schenkt, den er in seinem Badezimmer stehen hatte.
    Das Ding hat den Carbones ohnehin nie so recht gefal-
    len. Es ist eine graugrüne Eule aus Porzellan. Lange
    Zeit wussten sie noch nicht einmal, wofür der Vogel
    mit den schockierend blinkenden Augen überhaupt gut
    war. Pino hat die Eule vor Jahren bei der Versteigerung
    von beschlagnahmten Zollgütern für einen Dollar er-
    steigert. Sie war als Versteck für 200 Gramm Kokain
    von Frankreich in die Vereinigten Staaten von Amerika
    eingeführt worden und in einer Lagerhalle mit anderem
    Strandgut des Transitreiseverkehrs gelandet. Niemand
    hatte für den merkwürdigen Rauchverzehrer geboten,
    also tat Pino Carbone es aus Mitleid und einer gewissen
    Konträrfaszination für das Scheußliche. Er brachte die
    Eule mit nach Hause und montierte einen amerikani-
    schen Stecker ans Kabel. Rosa stellte sie erst in den
    Flur, aber dann ins Bad, weil sie die Eule dort nicht
    ständig sehen musste, und irgendwann vergaßen die
    Carbones das hässliche Teil. Es entmaterialisierte sich
    sozusagen.
    Erst als der komische Deutsche mit glasigen Augen
    auf die Eule zeigte, fiel Pino wieder ein, dass er sie überhaupt besaß. Er schenkte dem Freund seines Freundes
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    Antonio das Ding, und so tat es am Ende noch ein gu-
    tes Werk.
    Benno hat die Eule im Hotelzimmer auf seinen
    Nachttisch gestellt und erfreut sich nun an ihr, die gan-
    ze Nacht hat sie geleuchtet und Rauch verzehrt. Das
    Beste an diesem Rauchverzehrervogel ist, dass er Ben-
    no zuflog. Das nennt man Sammlerglück. Er musste
    sich nicht einmal bemühen, um in den Besitz seines
    neuen Schatzes zu kommen. Der Wert des Artefaktes
    lässt sich schwer schätzen, denn das Porzellan ist ein
    wenig angeschlagen. Aber das ist Benno egal. Auch
    wenn es kein Terrier und kein Mops geworden ist, so
    hat er doch bei seiner Rückkehr etwas vorzuweisen,
    und nur darauf kommt es Sammlern an. Apropos
    Rückkehr: Von ihm aus können wir jetzt wieder nach
    Hause fliegen, New York ist hiermit für ihn abgehakt.
    Auch heute trägt Benno wieder seinen merkwürdi-
    gen Aufzug. Vielleicht hat er mehrere Garnituren glei-
    cher Art im Gepäck?
    Ich klappe meine Karte auf und mache den Tages-
    plan. Heute geht es nun endlich nach Little Italy. Zu
    Fuß sind das ungefähr vier Kilometer. Das müsste also
    zu schaffen sein. Wir werden nach Spuren des meiner
    Meinung nach fiktiven Mauro Conti suchen, und Anto-
    nio wird schier ausflippen, wenn er dort unter Emig-
    ranten oder zumindest Emigranten-Nachkommen sein
    darf. Es wird sein großer Tag in New York, und daher
    habe ich auch viel Zeit dafür eingeplant. Apropos An-
    tonio, wo ist der eigentlich?
    «Weißt du, wo Antonio bleibt?»
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    «Dä is’ krank.»
    Wir sitzen hier bald seit einer Viertelstunde, und erst
    auf Nachfrage teilt Benno mit, dass sein bester Freund
    krank ist. Das nenn ich mal einen Kumpel.
    «Was heißt, der ist krank?»
    «Dat heißt, es jeht ihm nit jut.»
    «Was es bedeutet, weiß ich. Was er hat, will ich wis-
    sen.»
    «Dat widdisch 1 nit. Vielleischt Krebbs?»
    «Benno. Bitte. Damit macht man keine Scherze.»
    «Häs’ du schomma erlewt, dat isch ene Schechz je-
    maht hätt?»
    Dann schildert er mir ausführlich die Genese der Er-
    krankung eines Bekannten namens Leuven Pitter 2 , wo auch erst keiner wusste, was der hatte. Er habe bloß
    immer so geguckt und gesagt, es ginge ihm nicht gut,
    und als es schon zu spät war, habe man bei ihm dann
    «Krebbs» festgestellt. Pitter sei zwei Tage später ver-
    storben. Wenn man ihm diese tödliche Diagnose nicht
    gestellt hätte, könnte er heute noch leben.
    Ich lasse Benno mit seinem Essen – von allem alles,
    wie mir scheint – alleine und gehe nach oben zu Antonio.
    Er öffnet die Tür und verzieht sich dann wieder ins

1 weiß ich
    2

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