Antonio im Wunderland
was der Bursche
auf dem Gewissen hat, aber Benno kennt keine Gren-
zen, wenn er einmal in Fahrt ist.
Irgendwann ruft der Ungar ins Getümmel, dass die
Polizei gleich da sei, und das macht mir nun wirklich
Sorgen. Ich habe Konfrontationen mit der amerikani-
schen Exekutive satt und rufe immer in den Tumult hi-
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nein: «Toni, gib mir die Kreditkarte.» Und zu dem Un-
garn: «Ich zahle, ich zahle. Es war wunderbar, exzel-
lent! Ich zahle!» Doch Antonio ist außer Rand und
Band. Ich drehe ihm persönlich den Arm um, um ihm
meine Kreditkarte zu entwinden, und werfe sie dem
Kellner zu, der damit hinter die Bar flitzt, während
Benno und ich meinen erhitzten Schwiegervater fest-
halten. Der Albaner bedroht ihn zusätzlich mit einer
Gabel. Antonios Widerstand erlahmt erst, als ich meine
Unterschrift unter einen Phantasiebetrag gesetzt habe,
der sich noch einmal deutlich erhöht zu haben scheint.
Auf der Straße kommt Antonio nur ganz allmählich
wieder zu sich. Eine gewisse Grundsäuernis bleibt je-
doch und die richtet sich nicht gegen die Betreiber die-
ses pittoresken Schweinetrogs von einem Restaurant,
sondern gegen mich. Körperverletzung lautet die An-
klage, weil ich ihm den Arm umgedreht habe. Ich ent-
schuldige mich ein halbes Dutzend Mal, aber Antonio
ist unversöhnlich. Nicht einmal die vielen Bilder von
Robert De Niro, die man hier in jedem zweiten Geschäft
bekommt, können ihn aufheitern. Er ist fürs Erste fertig
mit mir. Mit Little Italy und mit dieser ganzen Stadt so-
wieso.
Entgegen seiner Gewohnheit geht Antonio nun voran,
für seine Verhältnisse sogar ziemlich schnell. Dahinter
folgt Benno, und ich bilde die Nachhut. Im Gehen blät-
tere ich in meinem Reiseführer und suche hektisch nach
irgendeiner Attraktion, die Antonios Laune heben könn-
te. Nach Ellis Island ins Einwanderermuseum will der
jetzt bestimmt nicht mehr. Schließlich werde ich fündig.
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Gleich hier um die Ecke gibt es einen weltberühmten
Feinkostladen, dessen Name wie eine italienische
Modemarke klingt, was Tonis Herz erweichen könnte.
Ich überhole Benno und mache Antonio den Vorschlag,
zu diesem herrlichen italienischen Delikatessengeschäft
zu gehen. Weltberühmt. Toll. Donnerwetter. Und be-
stimmt nicht teuer. Letzteres erweist sich zwar als Trug-
schluss, dafür gibt es ungefähr zweihundert Sorten Brot,
was Antonio zumindest ein anerkennendes Kopfnicken
abringt. Als Benno den internationalen Brotberg foto-
grafieren will, kommt ein uniformierter Angestellter
hinzu und fordert ihn auf, das bitte unverzüglich zu un-
terlassen, Sir.
«Wat will dädenn?», fragt mich Benno nicht ohne
eine gewisse Herablassung. Aus seiner Perspektive be-
trachtet, stehen die Amerikaner in Schlangen irgendwo
an, oder sie sorgen dafür, dass die anderen anstehen.
Er nimmt sie irgendwie nicht richtig für voll.
«Du sollst hier nicht fotografieren.»
«Wird davon dat Brot schlescht?»
«Ich weiß es nicht, lass es einfach.» Ein Handgemen-
ge mit Einheimischen pro Tag reicht mir vollkommen.
Wir kaufen drei Sandwichs zu je acht Dollar, drei Säfte
für je sechs Dollar und drei Brownies für drei Dollar pro
Stück – macht 51 Dollar –, und ich lasse mal wieder
meine Karte durch den Schlitz ziehen. Es kommt mir
vor, als sei sie schon ein bisschen dünner geworden, am
Ende der Reise kann ich wahrscheinlich durchgucken.
Die Goldstullen entschädigen Antonio wenigstens kuli-
narisch, und er redet zumindest wieder mit Benno. Ich
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bin Luft für ihn, und das macht wiederum mich sauer.
Wer nimmt denn schwerste Verletzungen und Don Mar-
cipanes Italo-Wahnsinn in Kauf? Das bin ja wohl ich!
Wer verhindert, dass wir abgeschoben, verhaftet oder
gefoltert werden? Auch ich. Wer ist der Einzige, der hier
nach Mauro sucht? Wieder ich. Und wer ist beleidigt
und spielt die Reisediva? Antonio.
Ich beschließe, dass wir ins Hotel fahren. Heute geht
Antonio ohne Essen ins Bett. Oder er muss sich mit Ben-
no selber darum kümmern. Ich werde schön in eine Bar
gehen und in Ruhe ein Bier zischen und keine Zigarette
rauchen. Oder ich rufe Pino an, lasse beiläufig die Sache
mit dem Zahn fallen und sehe zu, wie die beiden verhaf-
tet werden. Bye-bye, Alterchen. Viel Spaß in Sing-Sing!
Ich halte ein Taxi an und schiebe die beiden hinein.
Am Hotel angekommen, gehen sie ohne einen Mucks
auf ihr Zimmer. Es ist noch früh, vielleicht 18 Uhr, ich
habe also Zeit und nehme ein Bad in meiner
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