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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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den vielen
    chinesischen Touristen etwas bieten wolle, ganz zum
    Nachteil der Italiener, die immerhin diese Stadt ge-
    gründet und regiert haben. Hatte New York jemals ei-
    nen chinesischen Bürgermeister? Nein, na also.
    Die Chinesen verkaufen in der Mott Street, also in
    Ex-Little Italy kleine Schildkröten und Frösche, aller-
    hand Meeresgetier, das in großen Bottichen wimmelt,
    lebende und tote Aale, Krebse auch, die zu Hunderten
    in Eimern darauf warten, ihrem Schöpfer oder
    wenigstens einem versierten Koch entgegenzutreten.
    Das bringt Benno auf die Idee, etwas zu essen,
    möglichst mit Stäbchen, denn dann dauert’s länger,
    und das steigert den Genuss. Antonio missbilligt diese
    Idee jedoch. Er ist strikt gegen ein Mittagessen in
    Chinatown, weil erstens die asiatische Pasta ein
    schlechter Witz sei und er zweitens dieses Viertel nicht
    auch noch fördern wolle.
    Ich kaufe mir in der Canal Street eine gefälschte Mar-
    kenuhr, die immer noch irrwitzige 50 Dollar kostet,
    und falle nicht auf einen der ältesten Abzockertricks
    der Welt rein. Das Metallarmband ist nämlich etliche
    Nummern zu groß. Damit es passt, muss ich es über
    der Jacke tragen. Oder ich lasse es enger machen. Der
    freundliche Verkäufer steht diesem Ansinnen positiv
    gegenüber, allerdings kostet es 30 Dollar, mit einem
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    Stift und einem Hämmerchen die kleine Niete im Ket-
    tenarmband herauszuschlagen, um dann ein paar Glie-
    der herauszunehmen. 30 Dollar? Dafür? Ich bin em-
    pört. Der Verkäufer lächelt.
    Ich werde das im Hotel selber machen, kann ja nicht
    so schwer sein. Und wenn ich das nicht schaffe, gehe
    ich in ein Uhrengeschäft, die machen das umsonst.
    Hm. Aber nicht bei einer Fälschung. Das fröhliche Ge-
    sicht eines autorisierten Fachhändlers vor Augen, der
    mir den Mittelfinger zeigt, überlege ich, ob ich die 30
    Dollar eventuell doch investieren soll, aber ich möchte
    dem Burschen nicht den Triumph gönnen.
    Wir suchen weiter nach Little Italy wie nach einer ver-
    lorenen Kontaktlinse. Es kann doch gar nicht sein, dass
    es das nicht mehr gibt. Vielleicht ist es auch umgezo-
    gen, nach Detroit oder Atlanta. Dort könnte man so eine
    Attraktion bestimmt brauchen. Kurz bevor Antonio vor
    lauter Enttäuschung einen Schwächeanfall bekommt,
    finden wir den letzten Rest von Klein-Italien, das sich
    auf die Mulberry Street verzogen hat, wo die Straße hef-
    tig geschmückt auf Touristen wartet. Antonio Marcipa-
    ne ist außer sich. Er spricht so ziemlich jeden italie-
    nisch aussehenden Menschen auf der Straße an, fragt,
    wo die Leute herstammen und seit wann sie schon in
    Amerika leben, und muss feststellen, dass die meisten
    in New York geboren sind und kaum einer seine Spra-
    che spricht. Nach Mauro fragt er schon gar nicht mehr.
    Bennos schon mythenhafter Appetit treibt uns in ein
    derart italienisches Restaurant, dass ich mich für einen
    Augenblick fühle wie Heinz Erhard 1956 im Urlaub in
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    Venedig. Hier sieht es wirklich schon technicolorhaft
    nach Kulisse aus. An den Decken Fischernetze, in de-
    nen Plastikkrabben liegen, an den Wänden der weltbe-
    rühmte weiße Schlawinerputz, jenes hingeschlamperte
    Symbol uritalienischer Gemütlichkeit. Um das Bild ab-
    zurunden, steht auf der Bar mit der zweigruppigen
    Faema E61 1 auch noch eine Vorspeisenflasche.
    Vorspeisenflaschen haben mich schon immer faszi-
    niert. Von zarten Kinder- oder geduldigen Greisenhän-
    den werden verschiedene Gemüsesorten tagelang der-
    art geschickt in meist eine riesige Flasche gepfriemelt,
    dass die unterschiedlich farbige Füllung am Ende ein
    Muster ergibt, manchmal sogar eine Städteansicht von
    Rimini. Früher dachte ich, das ganze sei bloß Talmi,
    und die ganze Pracht in Wahrheit als bedruckte Folie
    auf die Flasche geklebt, aber das stimmt nicht. Es sind
    wahrhafte Meisterwerke italienischer Ingenieurskunst,
    ganz ähnlich dem Maserati Biturbo. Dessen Motor fuhr
    so zuverlässig, als habe man anstelle der Zylinder Vor-
    speisenflaschen unter die Haube gebaut.
    Wir setzen uns an ein rotweißkariert eingedecktes
    Tischlein, auf dem eine Tropfkerze in einer strohig
    ummantelten und dickbauchigen Weinflasche befestigt
    ist, welche vormals Rotwein von minderer Qualität ent-

    1 Was das ist? Das ist die Kaffeemaschine schlechthin. Wird eigentlich schon aufgrund ihrer enormen Größe nur in der Gastrono-mie genutzt, es gibt aber auch sehr gesuchte schmale Exemplare mit nur einem Espressohebel. Wenn Sie eine Faema E61

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