Antonio im Wunderland
seinem
Kumpel Pino Carbone aus Queens einen Gruß schickt.
Benno und ich werden von der Fahne verdeckt, also
entgeht mir die einzigartige Gelegenheit, einmal mich
selbst im amerikanischen Fernsehen bewundern zu
können. Aber Antonio verpasst sie genauso. Er schläft
schon längst.
277
FOURTEEN
Wenn man an der sozialen Spitze der Gesellschaft an-
gelangt ist, dort, wo nur ganz wenige hindürfen, dann
sollte man zunächst einmal lang schlafen. Das fällt mir
leicht, denn hier hört man weder, wie der Nachbar im
Zimmer zur Rechten an einem Asthmaanfall oder einer
Minibrezel erstickt, noch die Sirenen der Polizei. Zeit
zu haben ist der größte vorstellbare Luxus, also trödele
ich herum, schmiere mich mit allen Lotionen ein, die
das Hotel zu bieten hat, und entdecke eine Tüte mit
Zeitungen, die vor der Tür unserer Suite liegt. Ich
bestelle gegen Mittag Frühstück, welches uns von einer
vier Mann starken Truppe geliefert wird. Es ist ein deli-
kates Frühstück, ich schaffe es nicht einmal annä-
hernd, alles aufzuessen. Aber dafür haben wir ja Benno
dabei, der die Portionen etwas kläglich findet, aber:
«Wat will’se machen, kann’se nix machen.»
Pino ruft an und bedankt sich für den Gruß aus dem
Fernseher. Er wünscht uns eine schöne Reise. Er hat
keinen Dienst heute und wird daher nicht zum Flugha-
fen fahren. Sonst würde er uns persönlich verabschie-
den. Ich packe meinen Koffer und trinke Espresso. So
langsam heißt es Abschied nehmen von New York, das
heute unter einer grauen kalten Wolkendecke liegt, als
wollte es uns den Tag vermiesen. New York benimmt
279
sich wie ein Gastgeber, der nach vier Tagen aufhört,
Getränke anzubieten, weil ihm der Besuch langsam auf
den Keks geht. New York sagt uns mit diesem Wetter:
«Schön, dass ihr da wart, nu’ könnt ihr auch mal wie-
der nach Hause fahren. Schöne Grüße und auf Wieder-
sehen.»
Ich schlendere in unserem Schloss auf und ab und
gehe unseren Zeitplan durch. Benno kommt ins Wohn-
zimmer und fragt, ob er ein paar Kleinigkeiten in mei-
nen Koffer legen darf, seiner sei jetzt voll. Ich habe
nichts dagegen, und Benno («Supper, danke.») ver-
schwindet wieder. Antonio hat sich auf seiner Solotour
vorgestern zwei Trolleys gekauft, für die zahlreichen
Mitbringsel. Wir stellen unsere Koffer an die Tür und
fahren nach unten, um auszuchecken. Das ist ein sehr
angenehmer Vorgang, wenn man nichts bezahlen
muss. Ich würde ja gerne die Vase übernehmen, aber ich
traue mich nicht, das Thema anzusprechen. Da auch die
Managerin nichts sagt, gehe ich einfach mal davon aus,
dass die Vase aufs Haus geht. Sehr großzügig.
Benno hat seine Pflanze und seinen Rauchverzehrer
nicht dabei. Ich frage ihn, wo die sind, und er sagt: «Im
Koffer, wo dann sons’.»
«Aber nicht in meinem, hoffe ich.»
«Nää, ah wat! Die hannisch bei mir einjepackt.»
Vermutlich werden seine Kleinodien die Reise nicht
überstehen, aber ich halte mich da raus. Wir bitten da-
rum, das Gepäck für eine Weile im Hotel lassen zu
können, und treten noch einmal ins Freie, wo uns die
kalte graue Luft Falten ins Gesicht schnitzt. Ich habe
280
einen letzten Wanderweg zu absolvieren. Dazu müssen
wir zunächst mit der U-Bahn fahren, denn ich möchte
die Upper East Side sehen und von dort wieder zum
Hotel wandern. Ausgerechnet jetzt, ganz am Schluss,
passiert mir noch ein dummer Anfängerfehler: Die
New Yorker Subway verfügt nämlich über drei Sorten
von Zügen: Bahnen, die überall halten, und Bahnen, die
nur manchmal überall halten, sowie Bahnen, die fast
nie halten. Wenn man so einen gespenstischen Zug er-
wischt, saust man durch die Haltestelle, an der man ei-
gentlich aussteigen wollte. Man denkt an ein Versehen
des Lokführers oder daran, dass er womöglich einen
Herzanfall hat, gekrümmt in seinem Führerstand auf
dem Boden liegt und die Bahn nicht mehr anhalten
kann. Nach der dritten mit Höchstgeschwindigkeit
durchrasten Station bekommt man es dann wirklich
mit der Angst zu tun. Womöglich ist der Zug ja auch
entführt worden und hält überhaupt erst wieder in Phi-
ladelphia. Schließlich stoppt die Bahn, und man ist de-
finitiv zu weit gefahren. Wir fahren sogar noch viel wei-
ter als zu weit.
Meine Begleitung und ich, der für alles verantwortlich
gemacht wird, wären gerne an der 77. Straße ausgestie-
gen, aber die Bahn der New York City Transit GmbH
lässt uns nicht. Den nächsten Stopp an der
Weitere Kostenlose Bücher