Antonio im Wunderland
neh-
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men, die Carbones persönlich in seinem Heim zu be-
grüßen, und öffnet die Tür. Pino ist nicht alleine ge-
kommen. Er hat seine Frau, seine Mutter, zwei seiner
Brüder und deren Frauen sowie eine unübersehbare
Schar von Kindern dabei. Und ziemlich viele Plastiktü-
ten. Sie haben auch ein Geschenk mitgebracht, näm-
lich eine Fahne mit dem Wappen von Queens. Antonio
verspricht, sie am Fahnenmast seiner Villa in Deutsch-
land wehen zu lassen. Wahrscheinlich meint er damit
die Birke vor seinem Haus. Unsere fünfzehn Freunde
aus Queens inspizieren staunend, aber doch mit einer
gewissen Lässigkeit, unser Heim. Sie sagen «Ah» und
«Oh», und die Frauen nehmen die Gardinen in die
Hand. Rosa macht sich in der Küche sofort daran, die
Lebensmittel auszupacken. Ich zeige den Kids den
Fernseher, die DVDs und die Playstation, welche unter
großem Geschrei sofort in Betrieb genommen wird.
Damit der Zuckerspiegel bei den Kindern nicht so
rasch sinkt, bestelle ich für ungefähr 200 Dollar Cola
beim Zimmerservice.
Pino ist sehr angetan von unserem fürwahr mär-
chenhaften Wohlstand. Er hatte Antonio schon für ei-
nen netten Burschen, aber dann doch für einen Auf-
schneider gehalten, als dieser beim Grillen von seinem
Reichtum erzählt hatte und von seiner Villa in Deutsch-
land. Aber er scheint es ja nun tatsächlich zu etwas ge-
bracht zu haben. Antonio wird den Teufel tun und Pino
die Wahrheit sagen. Er wedelt mit den Knicks-Tickets
vor Pinos Nase herum und erklärt ihm, dass er zur Feier
des Tages und zum Abschied von New York nun noch
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mit seinen Schutzbefohlenen zum Baseball geht. Dass
die Knicks Basketball spielen, ist ihm wurst.
Macht auch nichts, das geht in dem Trubel unter, der
nun entsteht, weil Rosa und die anderen Damen in den
rosa Blusen das Essen auftragen. Es gibt allerhand Klei-
nigkeiten vom Markt, frittierte Zucchiniblüten und alle
möglichen Oliven. Später werden Nudeln gereicht, ei-
nige Fische und kleine Blätterteigschweinereien mit
süßen Cremes darin. Die Kinder amüsieren sich dufte,
besonders als sie entdecken, dass die Badewannen
Luftdüsen haben. Es lässt sich auf diese Weise bereits
unter Einsatz von sehr wenig Badezusatz eine schon
hollywoodmäßige Menge an Schaum fabrizieren, und
zwar in allen drei Bädern.
Es ist ein sehr spaßiger Nachmittag, sogar für mich,
denn ich trage hier nicht die Verantwortung. Robert De
Niro ist schließlich Antonios Kumpel und nicht meiner.
Es geht dann auch fast nichts kaputt, außer einer riesi-
gen Vase, in der sich der achtjährige Tinto Carbone vor
seinem Bruder versteckt hat. Der findet ihn nicht, über-
haupt findet ihn niemand, auch seine Mutter und die
Schwägerinnen sowie sämtliche Väter. Es macht sich
gerade eine gewisse Hysterie breit, als Benno verschla-
fen ins Wohnzimmer kommt. Er trägt eine braun-weiß
gestreifte Unterhose, was ein grauenhafter Anblick und
echt keine Werbung für die deutsche Unterhosenin-
dustrie ist, und er versteht die ganze Unruhe nicht.
«Benno, hast du irgendwo einen achtjährigen Jungen
gesehen?», frage ich ihn.
«Nä. Aber dahinten stehtene heulende Blumenvase.»
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Er zeigt auf seine Zimmertür, und tatsächlich dringen
aus der schwarzen Vase, die neben dem Eingang auf
dem Flur steht, verzweifelte Laute. Tinto hat sich mit
dem ganzen Körper dort hineingewurstelt und kommt
jetzt nicht mehr raus.
Sein Vater Osvaldo, Polizist in Brooklyn und Bruder
von Pino, fordert ihn ultimativ dazu auf, die Vase zu
verlassen, aber Tinto kann nicht. Er bekommt den Kopf
nicht mehr aus der Öffnung.
«Lass mal die Luft aus dem Kopf raus», rät Antonio.
«Mit den Händen zuerst», rät Pino.
Aber es nutzt nichts. Das Kind in der Vase wird all-
mählich panisch und brüllt wie am Spieß. Die Männer
drehen ihn mitsamt der Vase um und sehen nach, ob
unten eventuell auch ein Loch ist. Antonio schlägt vor,
ihn einfach herauszuschütteln, aber Rosa ist dagegen.
Schließlich wird Benno die Sache zu blöd. Er kann
Kinder nicht ausstehen, und wenn sie schreien, be-
kommt er die Motten. Er holt einen Feuerlöscher aus
der Küche und hämmert damit präzise gegen den
Bauch der Vase, worauf sie zerspringt und das greinen-
de Kind gerettet ist. Jahrelang geübt im Zertrümmern
von Überraschungseiern, hat er keine Skrupel mehr.
Die Familie Carbone verabschiedet sich wenig später
und bedankt sich für den schönen Tag. Zurück
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