Antonio im Wunderland
86. Straße
verpassen wir, weil Benno mit seiner Jacke zwischen
zwei Sitzen festhängt und wir zu dritt versuchen, sie
wieder herauszufummeln. Auch den darauf folgenden
Halt an der 125. Straße nehmen wir nicht wahr, weil ich
kurzfristig die Orientierung verloren habe und wild mit
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meiner Karte herumfuchtele. Die Mitreisenden finden
uns mit Sicherheit sehr drollig, aber sie lachen nicht. Sie gucken nur und sind stolz darauf, Amerikaner zu sein.
Jetzt geht es in die Bronx, wo der Wagen dann doch
auch mal anhält. Wir entweichen und kämpfen uns
durch auf das gegenüberliegende Gleis, von wo wir mit
wild schlagenden Herzen (außer Benno) in einer Bum-
melbahn wieder zurückfahren. Ein gutes Stündchen
nach unserer Abfahrt an der 59. Straße sind wir schließ-
lich am Guggenheim Museum, das Antonio gut gefällt,
obwohl es seiner Meinung nach aussieht wie der Rohbau
eines Parkhauses. Nach dem Besuch des Museums, das
hervorragende sanitäre Anlagen aufweist (laut Benno)
und mediokren Kaffee (Antonio), laufen wir mit erlah-
mender Lust südwärts, Richtung Hotel, wo unsere Kof-
fer und Franklin bereits auf uns warten. Es ist später
Nachmittag, New York ist plötzlich arktisch kalt gewor-
den. Auf dem Rockefeller Center hat man die Eisbahn
eröffnet, bald nach Thanksgiving wird die Weihnachts-
dekoration leuchten. Früher fand ich das immer kitschig
und regelrecht unanständig. Ich mochte den Kommerz
nicht, die unechte Pracht, das Protzige daran. Ich bin für manische Dekoriererei einfach nicht katholisch genug.
Aber ich habe meine Meinung geändert. Jetzt finde
ich zumindest verständlich, dass sich die New Yorker
mit bunten Lichtern, Rentierattrappen und dem ganzen
anderen Weihnachtsirrsinn etwas Wärme in ihren me-
galomanischen Stahlbetonhaufen von einer Stadt holen.
Dass sie in ihrem bunten Festtagskitsch die Unerbitt-
lichkeit ihres Existenzkampfes überwinden. Dass sie
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scheinbar gedankenlos ihre Herzen mit triefender Mu-
sik, simplen Heilsbotschaften und Cholesterin verstop-
fen. Dass sie einem wiedergeborenen Christen und mo-
dernen Warlord ihr Land anvertrauen. All dies hat am
Ende genauso viel Logik wie das Verhalten eines Natur-
volkes im Amazonas-Dschungel. Und das ist doch tröst-
lich, in einer so hoch technologisierten und vermeint-
lich zivilisierten Welt.
Als wir zum Hotel kommen, wartet Franklin unge-
duldig. Er hat unser Gepäck bereits verladen und hält
uns die Türen auf, als wir um die Ecke biegen. Die
Fahrt zum Flughafen JFK dauert heute länger. Es be-
ginnt zu regnen, während wir an Tausenden kleinen
Queens-Häusern vorbeifahren, die alle gleich aussehen
und schwach beleuchtet sind. Eine Stunde geht das so,
dann sind wir am Flughafen, der sich endlos hinzieht
und gelbes Licht in den Abenddunst schießt. Franklin
schiebt unser Gepäck in die Halle, und ich gebe ihm
ein großes Trinkgeld, meine letzten Scheine. Ich wün-
sche ihm einen richtig fetten Türken und stelle mich
am Check-in an. Ich habe unsere Reiseunterlagen und
schiebe sie über den Schalter. Die Dame dahinter kon-
trolliert die Tickets und vergleicht sie mit den Namen
auf einem Schriftstück. Das dauert. Zu lange. Finde ich.
«Stimmt was nicht?», frage ich sie. Ihr Verhalten
macht mich nervös.
«Moment bitte.» Was ist denn jetzt noch los? Sie hebt
das Telefon ab und spricht in den Hörer. Ich kann nicht
verstehen, was sie sagt. Dann legt sie auf und lächelt
mich an.
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«Ist irgendwas nicht in Ordnung?» Ich habe auf die-
ser Reise zu viel erlebt, um jetzt cool zu bleiben.
«Einen Augenblick bitte, Mister Hamilton ist gleich
hier.»
«Wer ist Mister Hamilton?»
Mister Hamilton ist der Mann, der nun von hinten
auf uns zukommt. Ich werde meinen Rückflug vertei-
digen, ich werde auf jeden Fall in zwei Stunden in ei-
nem Flugzeug sitzen. Leg dich nicht mit mir an, Mann.
«Sind Sie Mister Marcipane?», fragt Hamilton mich.
Ich zeige stumm mit dem Finger auf Antonio. Was hat
der Kerl jetzt schon wieder angestellt, denke ich. Er
spricht Antonio an, aber der versteht ihn nicht, also
wendet sich Hamilton wieder an mich.
«Sprechen Sie Englisch?»
«Ja.»
«Das ist sehr erfreulich, Sir. Ich habe die Ehre, Sie
durch die Passkontrolle und in die Business Lounge zu
begleiten.»
«Warum das denn?», frage ich misstrauisch.
«Ihr Freund Mister De Niro wusste nicht genau, mit
welcher Maschine sie zurückfliegen, daher hat er uns
gebeten, sie heute
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