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Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Titel: Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Ra-
    sens werde, also bleibe ich und sehe ihm zu, wie er mit
    einem Ruck den Rasenmäher in Gang setzt, der neben
    Qualm auch ein unerhörtes Geknatter freisetzt. Anto-
    nio besitzt einen Motorrasenmäher. Mit einer Tankfül-
    lung kommt er ungefähr vier Jahre aus. Er sieht sich
    um, ob ihn jemand beobachtet, und brüllt dann: «Okee,
    maki ein Ausnahm, abe bitte mit Obacht.» Er tritt zur
    Seite, und ich schiebe den Rasenmäher in Richtung des
    kümmerlichen Fleckchens Gras, den Antonio Wiese
    nennt. Als ich mich zu ihm umdrehe, ist Antonio be-
    reits verschwunden. Er findet es langweilig, anderen
    beim Rasenmähen zuzusehen.
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    Die Marcipanes haben einen winzigen Rasen vor
    dem Haus. Eigentlich bräuchte man gar keinen Ra-
    senmäher dafür. Man geht bloß drei Schritte in die eine
    Richtung, wendet, geht dann drei Schritte in die andere
    Richtung und – zack – ist der Rasen gemäht. Man
    könnte die paar Halme auch mit einer Nagelschere
    stutzen, was viele der Nachbarn von Antonio und Ursu-
    la zu machen scheinen.
    Eigentlich wäre der Platz vor Antonios Reiheneck-
    haus gar nicht so klein, allerdings steht dort eine gigan-
    tische Birke. Antonio hat denselben Fehler gemacht wie
    Millionen deutscher Eigenheimbesitzer. Unsere Eltern-
    generation – so viel Kritik darf erlaubt sein – war in fast allem gut, nur nicht in der Gartenplanung. Und darum
    befinden sich in so ziemlich allen Eigenheimgärten, die
    ich kenne und die vor circa 35 Jahren angelegt wurden,
    zu große Bäume und zu mächtige Sträucher. Überall
    stehen gigantische Schattenspender, die dem Garten
    die Sonne nehmen und den Rasen vermoosen lassen.
    Oder riesige Flachwurzler, die sich Hunderte Meter weit
    in fremde Gärten verzweigen wie ein Netz aus naiven
    Fehleinschätzungen. Bei Stürmen fällt dann und wann
    eine dreißig Jahre alte Investition aufs Dach, von der der Mann zur Frau einst sagte: «Komm, wir nehmen die Eiche, das ist der deutsche Schicksalsbaum.»
    Herr und Frau Marcipane pflanzten sich eine winzige
    Birke in den Vorgarten, weil Antonio Birken so exotisch
    fand. Inzwischen ist diese Birke ein Wolkenkratzer von
    einem Baum, sie überragt das Haus um viele Meter und
    verliert im Herbst so an die sechs Milliarden Blätter-
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    chen, die Antonio auffegen müsste, was er aber seiner
    Frau überlässt, weil die sich mit Pflanzen besser aus-
    kenne als er, wie er sagt.
    Der Baum war früher mal von Rasen umzingelt, aber
    der ist weg, hat kein Licht mehr bekommen. Ein Fleck-
    chen Sonne fällt noch in den Vorgarten, und dort hegt
    Antonio seinen Restrasen, den ich innerhalb von sie-
    ben Sekunden getrimmt habe. Hinten im Garten muss
    ebenfalls gemäht werden. Dort ist ein bisschen mehr
    zu tun. Siebenmal einundzwanzig Schritte. Rasenmä-
    hen ist eine schöne, meditative Tätigkeit.
    Der Garten der Marcipanes grenzt linker Hand an
    einen schmalen Durchgang mit von Baumwurzeln an-
    gehobenen Gehwegplatten, der von einer Stichstraße
    zur nächsten führt. Hier gehen die Nachbarn vorbei,
    wenn sie zum Bäcker müssen, und lassen ihre Hunde
    kacken, weshalb diese Gasse auch Haufenweg genannt
    wird. Manchmal weht eine Brise in den Garten, beson-
    ders wenn es heiß ist und man auf der Terrasse sitzt.
    Auf der rechten Seite grenzt das Grundstück an jenes
    der Familie Münter. Seit 35 Jahren wohnen die Marci-
    panes und die Münters nebeneinander. Man ignoriert
    einander. «Sind kein feine Leut, aben keiner der Kultur
    oder guter Erziehung oder bisschen Eleganz, nix da-
    von», sagt Antonio, als ich den Grasabfall in die braune
    Tonne gegeben und mich wieder zu ihm ins Wohn-
    zimmer gesetzt habe. Herr Münter hat mir die ganze
    Zeit zugesehen. Als ich ihn grüßte, nickte er nur knapp
    und fummelte an einem Brombeerstrauch herum. Aber
    er sah mich die ganze Zeit an.
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    Später erzählt mir Sara, was es mit diesem Burschen
    auf sich hat und warum seit über drei Jahrzehnten eisi-
    ges Schweigen zwischen den Familien herrscht. Als
    nämlich der Studienrat Wilfried Münter erfuhr, dass in
    dem Haus neben ihm ein Gastarbeiter einziehen würde
    und dieser, was noch schlimmer war, Besitzer dieses
    Hauses war, da sammelte Münter Unterschriften, um
    den Zuzug von Ausländern in die frische Neubausied-
    lung zu stoppen. Er war womöglich nicht einmal, was
    man heutzutage fremdenfeindlich nennt, eher frem-
    denängstlich, was aber auf dasselbe hinausläuft. Zu
    dieser Ängstlichkeit gesellten sich auch Ärger über sich
    selbst, weil Münter

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