Anubis 02 - Horus
der sie weit weniger freundlich beäugte als sein Kollege, der sie hereingeführt hatte. Eine Anzahl moderner Gaslampen an den Wänden und unter der Decke verbreitete nahezu schattenloses Licht, und auch hier drinnen roch alles neu und frisch. Kostbares Holz und goldgerahmte Bilder, die ausnahmslos irgendwelche Würdenträger oder Adelige zeigten – welche Bast ausnahmslos nicht kannte –, beherrschten die Wände, und auch das Mobiliar war neu und noch so gut wie unbenutzt. Alles wirkte … steril, obwohl die Beamten eine Atmosphäre stiller Hektik verbreiteten. Dieses Gebäude war noch nicht lange genug bewohnt, um eigenes Leben entwickelt zu haben.
Bast sah sich weiter unverhohlen neugierig um, wobei sie sich der nicht minder neugierigen und verwunderten Blicke, mit denen die Anwesenden sie verstohlen musterten, in jeder Sekunde bewusst war, und wollte sich gerade mit einer belanglosen Frage an einen der Männer ringsum wenden, und sei es nur, um das immer betretener werdende Schweigen zu brechen, das sich in ihrer unmittelbaren Umgebung breitzumachen begann, als sie eine Bewegung am anderen Ende des Raumes wahrnahm. Etwas daran alarmierte sie, ohne dass sie sagen konnte, was. Verwundert wandte sie den Kopf- und hätte fast einen erschrockenen Schrei ausgestoßen.
Am gegenüber liegenden Ende des Raumes hatte sich eine Tür geöffnet, und drei Männer waren herausgetreten. Zwei von ihnen trugen dieselbe Art von schmuckloser schwarzer Uniform wie der Beamte, der sie hereingebracht hatte, nur mit etlichen Messingknöpfen und blitzenden Abzeichen mehr, der dritte einen eleganten schwarzen Cut samt Zylinder und Gehstöckchen. Noch auffälliger als seine geckenhafte Kleidung allerdings war der gezwirbelte Schnauzbart, der sein Gesicht zierte … und der Umstand, dass selbiges auf einer Seite unförmig angeschwollen und zum Teil blauschwarz verfärbt war.
Bast erkannte ihn trotzdem auf Anhieb wieder, und das, obwohl er bei ihrem letzten Zusammentreffen nichts weiter als schwarze Socken getragen hatte …
Sie war dennoch im allerersten Moment so verblüfft, dass es um ein Haar zu einem Unglück gekommen wäre. Die drei Männer kamen ohne Eile näher, und der Schnauzbärtige unterhielt sich gelassen mit seinen beiden Begleitern – die ihn überdies mit unübersehbarem Respekt behandelten – und schien dabei allerbester Laune zu sein; dann und wann ließ er eine offensichtlich scherzhafte Bemerkung fallen, auf die die beiden mit einem gehorsamen Lächeln reagierten, und einmal lachte er sogar laut; was ihm zweifellos nicht leicht fiel, denn seine Lippen waren geschwollen und seine Mundwinkel mit verschorftem Blut verkrustet. Bast starrte ihn so verblüfft an, dass sie beinahe zu spät reagiert hätte, als er näher kam und dabei beiläufig in ihre Richtung sah.
Im buchstäblich allerletzten Moment begriff sie die Gefahr, in der sie schwebte, machte einen halben Schritt zurück und verschmolz gleichzeitig mit den Schatten, und für einen winzigen Moment erschien ein Ausdruck von Verwirrung in den blutunterlaufenen Augen des Schnauzbärtigen. Er stockte, runzelte die Stirn und schien sich selbst in Gedanken eine Frage zu stellen, auf die er aber ganz offensichtlich keine Antwort fand.
»Mylord?« Einer der beiden Beamten in seiner Begleitung sah ebenfalls – besorgt – in ihre Richtung, erblickte aber ganz offensichtlich nichts Außergewöhnliches. Trotzdem fuhr er fort: »Stimmt irgendetwas nicht?«
Bast hielt instinktiv den Atem an. Sie war vollkommen sicher, sich seinen Blicken entzogen zu haben, und trotzdem starrte der Schnauzbärtige verunsichert und ganz eindeutig zu lange in ihre Richtung. Dann aber schüttelte er fast hastig den Kopf und zwang ein ebenso übertriebenes wie unechtes Lächeln auf seine verunstalteten Lippen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er hastig und ging weiter; so dicht an Bast vorbei, dass sie ihn mühelos mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können. »Bitte verzeihen Sie mir. Wie es scheint, fange ich schon an, Gespenster zu sehen.«
»Was ja auch kein Wunder ist, Mylord«, versicherte der Beamte hastig. »Ein solches Erlebnis hinterlässt seine Spuren, selbst bei unseren Männern, und die sind … äh … solcherlei Zwischenfälle gewohnt.«
»Was schlimm genug ist«, antwortete der Schnauzbärtige. »Wir müssen etwas gegen die Gewalttätigkeit in diesen Vierteln unternehmen, Superintendent. Wo kommen wir hin, wenn ein unbescholtener Bürger nicht einmal mehr über
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