Anubis 02 - Horus
Problem – aus Mrs Walshs Mund; Bast hatte wenig und Cindy kein einziges Wort gesprochen – angehört und mehr als einmal vielsagend die Stirn gerunzelt hatte, aber sie hatten nicht ein Wort des Vorwurfs von ihm gehört und schon gar nicht die Drohung mit ewiger Verdammnis oder dem Zorn Gottes, die sie halbwegs erwartet hatte.
»Nett?« Cindy machte ein unanständiges Geräusch. »Der Kerl ist ein alter Furz, der vom Leben keine Ahnung hat!«
»Ganz anders als du, nicht wahr?«, fragte Bast spöttisch.
Cindy überging die Bemerkung. »Ich werde jedenfalls nicht zu irgendeiner vertrockneten alten Schachtel ziehen und mich damit amüsieren, dreckige Unterhosen zu waschen.«
Das war nicht genau das, was Vater McNeill vorgeschlagen hatte, aber Bast musste zugeben, dass es der Wahrheit nahekam. Konkret hatte der Geistliche von einer ihm bekannten Witwe erzählt, die die Besitzerin einer kleinen Wäscherei war und schon öfter Waisenkinder bei sich aufgenommen und ihnen ein Dach über dem Kopf und drei warme Mahlzeiten geboten hatte … gegen einen entsprechenden Obolus in Form ihrer Arbeitskraft, versteht sich. Bei jedem anderen hätte Bast dieses Angebot schlichtweg empört, aber sie hatte in McNeills Gedanken gelesen, dass besagte Witwe ihre Zöglinge noch nie ausgenutzt oder auch nur übervorteilt hatte. Es war eine Chance, und es waren harte Zeiten.
Trotzdem.
»Keine Angst«, sagte sie. »Ich wollte … keine unnötigen Dis kussionen mit Mrs Walsh, das ist alles. Du musst nicht in diese Wäscherei.«
»Wie gnädig. Und womit verdiene ich diese Großzügigkeit?«
»Weil ich nicht möchte, dass du in London bleibst«, antwortete Bast wahrheitsgemäß.
Cindy kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Wieso?«
»Willst du, dass Maude dich findet?«, fragte Bast. »Jetzt mal ganz im Ernst.« Sehr behutsam las sie Cindys Gedanken, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Cindy antwortete erst nach endlosen Sekunden, doch Bast hatte die Antwort schon lange zuvor auf ihrem Gesicht abgelesen.
»Nein«, sagte sie schließlich. »Das möchte ich nicht.«
»Aber genau das würde dir passieren, wenn du in London bleibst«, antwortete Bast. »Früher oder später kriegt sie dich.«
»Ja, wahrscheinlich«, sagte Cindy. »Also muss ich wohl weg. Oder freiwillig zurückgehen. Wenn ich selbst zu ihr gehe, dann wird es vielleicht nicht so schlimm.«
»Das ist deine Entscheidung.« Bast deutete zur Tür. »Ich werde nicht versuchen, dich aufzuhalten.«
»Würdest du doch.«
»Das könnte ich gar nicht«, antwortete Bast. »Sicher, ich könnte dich zwingen, in Vater McNeills Kirche einzuziehen und dort sechzehn Stunden am Tag zu beten, und du würdest glücklich dabei sein. Für eine Weile. Aber nicht auf Dauer, und schon gar nicht für den Rest deines Lebens. Du hast völlig recht: Ich kann den Willen eines Menschen brechen … aber niemand kann dich zu einem anderen Menschen machen.«
»Und wenn du lügst? Jetzt gerade? Nur, damit ich gehorche?«
Bast lächelte. »Wenn ich jetzt lügen würde, dann hätte ich es nicht nötig zu lügen, meinst du nicht auch? Außerdem, wenn ich fähig wäre, einen Menschen wirklich zu ändern, dann gäbe es Menschen wie Maude nicht mehr. Also, wie ist es? Willst du zurück zu Maude, in die Wäscherei, oder willst du mit Faye gehen?«
»Faye?«
»Du kennst sie?«, fragte Bast. Cindy nickte verwirrt, und Bast fuhr fort: »Sie geht weg. Du konntest mit ihr gehen. Eine kleine Wohnung, harte Arbeit … aber keine Maude mehr. Und keine Gentlemen mit ekligen Wünschen. Deine Entscheidung.«
»Und sie würde mich mitnehmen?«, fragte Cindy zweifelnd.
»Das wird sie«, antwortete Bast. »Sie weiß es zwar selbst noch nicht, aber eigentlich hat sie sich schon entschieden. Ich bringe sie mit hierher, wenn du willst. Oder du begleitest mich gleich.«
Cindy zog die Unterlippe zwischen die Zähne und begann unsicher von einem Bein auf das andere zu treten. Für einen Moment sah sie tatsächlich aus wie das unschuldige, ängstliche Kind, das Mrs Walsh so gerne in ihr gesehen hätte. »Darf ich … noch einen Moment darüber nachdenken?«, fragte sie. »Vielleicht bis nach dem Abendessen?«
Bast wusste, Cindy hatte sich längst entschieden; sie brachte nur nicht den Mut auf, sich diese Entscheidung auch einzugestehen.
»Das im Übrigen allmählich kalt wird«, sagte Mrs Walsh von der Tür her. Bast fuhr erschrocken herum und sah sie eindeutig schuldbewusst an. Sie hatte Mrs Walsh nicht gehört,
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