Anubis 02 - Horus
schon, wie er aus dieser Situation herauskommt, und wem er die Schuld an allem geben kann. Und er wird einen Weg finden.«
»Wo ist das Problem?«, fragte Bast. »Ich habe es ernst gemeint. Faye wird die Stadt verlassen, und Monro wird nie wieder etwas von ihr hören, dafür werde ich sorgen – schon um Fayes willen.«
»Und Sie glauben ernsthaft, dass ihm das reicht?«
»Nein«, gestand Bast.
»Das ist gut«, sagte Abberline. »Ansonsten hätte ich nämlich angefangen, mir ernsthafte Sorgen darüber zu machen, ob Sie vielleicht ein wenig zu naiv sind.«
»Das bin ich nicht, keine Angst«, versicherte Bast. »Was glauben Sie denn, was er tun wird?«
»Glauben? Nichts.« Abberline schüttelte überzeugt den Kopf. »Ich weiß, was er tun wird.«
»Und was wäre das?«
»Heute Abend? Gar nichts. Er wird Faye in Sicherheit bringen und in aller Ruhe abwarten, ob Sie wirklich seine Arbeit für ihn erledigen, und ganz wie sie es gesagt haben, wird er hinterher den Ruhm dafür einstreichen. Und sollte es Ihnen nicht gelingen, wird er mir oder irgendeinem anderen armen Dummkopf die Schuld zuschieben. Und er wird Faye ganz gewiss nicht einfach gehen lassen und darauf vertrauen, dass sie ihr Wort hält und er niemals wieder etwas von ihr hört. Er wird sie finden, ganz egal, wo sie sich versteckt, und wie lange es dauert. Vergessen Sie nicht, wer er ist. Er ist der Leiter der Spezialabteilung des Innenministeriums, und ihm steht der gesamte Polizeiapparat des britischen Empire zur Verfügung, wenn es sein muss.«
»Und dann?«
Abberline hob die Schultern. »Manchmal geschehen schreckliche Dinge«, sagte er. »Menschen haben Unfälle, oder sie landen unschuldig im Gefängnis oder im Irrenhaus. Oder sie verschwinden einfach.«
»Ja, das deckt sich so ungefähr mit meinen Überlegungen«, sagte Bast.
»Und trotzdem …«
Bast unterbrach ihn. »Bleiben Sie ruhig, Inspektor. Monro wird nichts von alledem tun. Er würde es vielleicht tun, wenn er sich morgen um diese Zeit noch an unser Gespräch oder überhaupt an den heutigen Abend erinnert. Aber das wird er nicht.«
Diesmal starrte sie Abberline eine geraume Weile an, und zum allerersten Mal glaubte sie so etwas wie echtes Entsetzen in seinen Augen zu erkennen. »Das können Sie?«
»Er wird nicht einmal mehr wissen, dass es mich gibt«, sagte Bast ernst. »Und Faye auch nicht.«
Abberline schwieg noch länger. Seine Miene war wieder so gut wie ausdruckslos, aber Bast konnte sich gut vorstellen, wie er über das nachdachte, was er gerade gehört hatte, und dadurch zu eigenen Schlussfolgerungen gelangte.
Sie ließ ihn ganz bewusst eine Zeitlang mit seinen vermutlich nicht besonders angenehmen Überlegungen allein. Sie mochte Abberline – soweit sie es sich gestattete, Sympathie für einen Sterblichen zu empfinden –, aber ein bisschen Furcht war in diesem Moment vermutlich nicht das schlechteste Geschenk, das sie ihm machen konnte. Zumindest würde es seine Neugier dämpfen.
Für eine Weile sah sie nur stumm aus dem Fenster und beobachtete die vorüberziehenden Häuser und Menschen. Obwohl die Droschke nicht mehr in so halsbrecherischem Tempo fuhr wie auf dem Hinweg, bewegte sie sich doch schnell, aber sie würden trotzdem erst nach Dunkelwerden zurück in der Pension sein; und vermutlich würden sie nicht nur Maistowe, sondern auch Mrs Walsh und vor allem Cindy in heller Aufregung vorfinden.
Hoffentlich nur das, dachte Bast. Sie traute Cindy durchaus zu, etwas Unbedachtes oder auch Dummes zu tun – was im Zweifelsfall dasselbe war –, und schalt sich in Gedanken dafür, so überhastet aufgebrochen zu sein, ohne Maistowe entsprechende Anweisungen gegeben zu haben. Andererseits, sagte sie sich selbst, wäre es vermutlich ohnehin sinnlos gewesen. Wenn Cindy sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, etwas zu tun, dann tat sie es auch, basta.
»Sie sehen besorgt aus«, sagte Abberline plötzlich.
Bast verzog das Gesicht. »Sieht man es mir so deutlich an?«
»Würde ich sonst fragen?«
»Nein«, antwortete Bast einsilbig. Sie sah demonstrativ weiter aus dem Fenster; es wurde jetzt immer rascher dunkel, und die wenigen Menschen, die noch auf der Straße waren, begannen zu flachen, verwaschenen Schatten zu verblassen. Es war empfindlich kalt geworden, und selbst hier drinnen im Wagen kondensierte ihr Atem mittlerweile zu grauem Dunst. Ein sonderbarer und Bast nicht vertrauter Geruch lag in der Luft, den sie erst nach einigen Augenblicken identifizierte: Schnee.
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