Anubis 02 - Horus
Also wenn du interessiert bist, lass es mich wissen, Schätzchen. Ich bin sicher, wir werden uns schon einig.«
Bast beherrschte ihre schon wieder aufflackernde Wut mit immer mehr Mühe. Aber sie hielt sich im Zaum. Statt irgendetwas zu sagen, drehte sie sich wieder zu den beiden anderen Frauen um. Sie wollte es nicht, aber ihr Blick suchte wie von selbst den des Mädchens und fand auch diesmal nichts als Leere. Plötzlich spürte sie einen harten Kloß im Hals, der ihr fast schwer machte, zu atmen. Ein Leben, das zu Ende war, noch bevor es wirklich begonnen hatte. Sie hätte der Alten befehlen können, das Mädchen nicht nur gehen zu lassen, sondern ihr auch einen sicheren Platz zu suchen und sie außerdem mit einer großzügigen Entschädigung auszustatten, und sie hätte es ohne zu Zögern getan … aber wozu? Schon bald wäre sie nicht mehr hier, um ihre schützende Hand über das Mädchen zu halten, und dann würde es nur umso mehr unter dem leiden, was sie getan hatte. Um noch einmal Isis’ Lieblingssatz zu zitieren: Du kannst nicht die ganze Welt retten, Liebes.
»Wo finde ich diese Patsy?«
»Versuch’s drüben im Ten Bells « , sagte die Alte, bevor eine der beiden anderen ihre Frage beantworten konnte. »Ich hab gehört, da is’ sie manchmal. Is’ aber schon eine Weile, dass sie das letzte Mal dort aufgetaucht is’.«
»Dafür, dass Sie nichts über sie wissen, wissen Sie eine Menge über sie, finde ich«, sagte Bast kühl.
»Ich weiß was über Patsy, nicht über deine Freundin«, erwiderte sie. »Das is’ nich’ die, nach der du suchst. Aber geh ruhig hin und bring dich in Schwierigkeiten, wenn du willst. Wird aber umsonst sein.«
Bast setzte zu einer scharfen Antwort an. Aber sie lauschte gleichzeitig auch noch einmal in ihr Gegenüber hinein und schrak diesmal sogar ganz körperlich ein kleines Stückchen vor ihr zurück. Da war etwas tief in ihr, etwas Dumpfes, Fauliges, das allmählich in ihr heranwuchs und sie verzehren würde. Sie würde sterben, und das sehr bald.
Das hatte keinen Sinn mehr. Bast hatte längst eingesehen, dass es ein Fehler gewesen war, überhaupt herzukommen. Sie verstand nicht mehr ganz, warum sie es überhaupt getan hatte. Sie begann Fehler zu machen.
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich herum und verließ das zweifelhafte Etablissement.
Das Ten Bells, im Schatten von Christs Church gelegen, stellte sich als eines jener Lokale heraus, vor Jenen Arthur sie gewarnt hatte. Von außen winzig, ein schmalbrüstiges, hohes Haus mit vergitterten Fenstern, die eher an Schießscharten erinnerten und es irgendwann vor langer Zeit vielleicht sogar einmal gewesen sein mochten, entpuppte es sich als ein einzelner niedriger Raum, den man anscheinend gewonnen hatte, indem die Trennwände zu den benachbarten Gebäuden einfach herausgerissen worden waren. Schwere, grob gezimmerte Balken, von denen einige schon bedrohlich durchhingen, stützten die Decke, und die Luft war so verräuchert und dick, dass sie in der Kehle brannte und ihr die Tränen in die Augen trieb.
Bast hatte eine geraume Weile gezögert, das Lokal überhaupt zu betreten; nicht aus Furcht – dazu bestand nicht der geringste Grund –, sondern weil sie einfach völlig verwirrt und durcheinander war.
Es lag an dem Mädchen. Sie wurde die Erinnerung an das schmale Gesicht mit den so schrecklich leeren Augen einfach nicht los. Isis hatte zweifellos recht, zugleich aber auch so unrecht, wie es nur ging. Niemand konnte die ganze Welt retten, nicht einmal sie – aber vielleicht wog es manchmal ebenso viel, sich auch nur um ein einziges Leben zu sorgen.
Mindestens genauso aber schockierte sie die Welt, in der sie sich unversehens wiedergefunden hatte, als sie aus Arthurs Wagen gestiegen war. Selbstverständlich gab es Plätze wie diesen auch in ihrer Heimat, und Bast war in ihrem langen Leben schon an Orten gewesen und hatte Dinge erlebt, die selbst der alten Puffmutter die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten … aber warum sollte Isis hierhergekommen sein? Gut, sie war gewissen Belangen des Lebens gegenüber schon immer weit offener gewesen als sie selbst, aber das hier war … Schmutz, in jeglicher Hinsicht. Etwas, das sie einfach nicht nötig hatte, ganz gleich, wonach sie auch suchen mochte.
Und Isis war auch nicht im Ten Bells, wie Bast erkannte, als sie durch die Tür trat und einen ersten Blick in die Runde warf. Nicht einmal ihren scharfen Augen wäre es möglich gewesen, in dem großen,
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