Anubis 02 - Horus
Nähe aufgehalten, hätte sie es gespürt. Aber irgendwo musste sie ja schließlich mit ihrer Suche anfangen. Behutsam lockerte sie den Griff um den Willen der abenteuerlichen Empfangsdame, wenn auch nicht weit genug, um irgendein Risiko einzugehen. Die beiden älteren Frauen auf der Couch starrten sie weiter fassungslos und mit offenem Mund an, während das Mädchen zwischen ihnen aus blicklosen Augen ins Leere starrte.
Aber Bast verbot es sich, irgendetwas zu sagen. Später. Vielleicht.
»Eine Freundin?«, vergewisserte sich die Alte mit leicht schleppender Stimme. Ihr Blick flackerte, und ihre Hände begannen kleine, unbewusste Bewegungen zu vollführen, mit denen sie am Stoff ihres schäbigen Kleides zupfte. »Hier?«
»So hat man es mir gesagt«, antwortete Bast. Sie bemühte sich, ihr Lächeln ein bisschen herzlicher wirken zu lassen, wenn auch ohne großen Erfolg. »Eigentlich müssten Sie sich an sie erinnern. Sie sieht mir ein wenig ähnlich.«
»Hier ist niemand, der aussieht wie du, Schätzchen«, antwortete die Alte verächtlich. Vielleicht ließ Bast ihr etwas zu viel Freiheit, denn obwohl sie noch immer eine große Verwirrung und noch eine Spur von Angst in ihren Augen las, erschien nun auch zugleich etwas wie Gier darin, eine anzügliche, begehrliche Gier, die eine kurze, aber heiß lodernde Flamme von Zorn in ihr aufflackern ließ. Aber sie beherrschte sich weiter.
»Wahrscheinlich trägt sie andere Kleidung und vermutlich auch eine andere Haartracht«, fuhr sie mit unveränderter Stimme fort und maß die beiden Frauen neben ihr zugleich mit einem fragend-auffordernden Blick. Die ältere von ihnen reagierte gar nicht, während die andere ganz sacht den Kopf schüttelte. Bast war verwirrt. Weder die Alte noch diese beiden hatten gelogen – das hätten sie gar nicht gekonnt in diesem Moment –, doch je aufmerksamer sie zugleich auch ihre anderen Sinne umhertasten ließ, desto deutlicher spürte sie, dass Isis tatsächlich hier gewesen war. Vor nicht allzu langer Zeit. Ihre Gegenwart hing wie ein schwacher, betörender Duft in der Luft, der vergebens den Gestank nach Gewalt und Leid und tierischer Lust zu durchdringen versuchte, der diesen grauenhaften Ort beherrschte. Was um alles in der Welt hatte Isis nur an einem Ort wie diesem gesucht?
»Wie heißt denn deine Freundin, Schätzchen?«, fragte die Alte. Sie schnaubte immer noch, als hätte sie soeben einen langen anstrengenden Fußmarsch hinter sich gebracht, und nicht die wenigen Schritte um den Sekretär herum. »Und wer hat dir erzählt, dass du sie hier bei uns findest?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Bast.
»Du weißt nich’, wie deine Freundin heißt?«
»Sie wird sicher nicht unter ihrem richtigen Namen hier leben«, antwortete Bast.
»Weil sie Dreck am Stecken hat«, vermutete die Alte, und Bast schüttelte noch einmal und jetzt spürbar verärgert den Kopf. Bevor sie antwortete, ging sie die wenigen Schritte zur Chaiselongue hin und ließ sich vor dem jungen Mädchen in die Hocke sinken, um ihr direkt ins Gesicht sehen zu können. Das Kind reagierte nicht auf ihre Annäherung. Sein Blick schien geradewegs durch sie hindurchzugehen.
»Der Name, den sie in ihrer Heimat trägt, wäre hier sehr … ungewöhnlich. Deshalb nehme ich an, dass sie sich einen Namen zugelegt hat, der einem Abendländer ein wenig leichter über die Zunge geht.«
»Der ’nem Abendländer ein wenig leichter über de Zunge jeht«, wiederholte die Alte, wobei sie in einen noch breiteren, fast schon ordinären Slang verfiel. »Na dann pass mal auf, dass du nich’ über deine eigene stolperst, Schätzchen. Ei’m Abendländer! Sprecht ihr bei euch alle so jestelzt?« Sie lachte meckernd und schüttelte so heftig den Kopf, dass Bast die Bewegung spürte, obwohl sie nicht einmal in ihre Richtung sah. »Nee, so eine war nich’ hier. An jemand, der so ’ne jequirlte Kacke redet, würd ich mich bestimmt erinnern.«
Bast erwiderte nichts darauf, sondern berührte das Mädchen behutsam an der Wange und versuchte seinen Blick einzufangen, aber es gelang ihr nicht. Die Augen der Kleinen waren so leer wie ihr Gesicht, das ausgesprochen hübsch gewesen wäre, wäre darin auch nur die Spur irgendeines Gefühls gewesen. Und auch das, was sie fühlte, als Bast in sie hineinzulauschen versuchte, war kaum weniger beunruhigend. Nur ein Gemisch aus dumpfer Furcht und Resignation.
»Was habt ihr mit ihr gemacht?«, fragte sie.
Die Frage galt den beiden Frauen vor
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