Anubis 02 - Horus
Sie nicht zu, dass Sie ganz zu Sachmet werden, Bast. Das ist es nicht wert.«
»Halten Sie den Mund, Inspektor«, fauchte Bast. Sie machte eine ärgerliche Geste. »Wenn Sie mir ihre sogenannte Hilfe unbedingt aufdrängen müssen, dann erzählen Sie mir etwas über diese Kathedrale.«
»Dazu würde ich länger brauchen, als wir dorthin unterwegs sind«, antwortete Abberline. »Sie ist groß. Sehr groß. Das ist alles, was Sie wissen müssen. Aber ich habe eine Frage.«
»Und welche?«
»Wie kann man ihn töten?«
»Horus?« Bast schüttelte mit einem abfälligen Lachen den Kopf. »Gar nicht. Jedenfalls nicht …«, sie deutete auf die Stelle, an der Abberline den Revolver unter seinem Rock trug, »… damit.«
»Sollte ich mir Silberkugeln besorgen?«, fragte Abberline. »Oder wäre ein Holzpflock ins Herz angebracht?«
»Wir sind keine Vampyre, Inspektor«, antwortete Bast ärgerlich. »Und das hier ist keine Gruselgeschichte, wie man sie in billigen Zeitschriften liest. Es ist bitterer Ernst! Wenn Sie sich einmischen, werden Sie sterben. Sie haben gesehen, wozu sie fähig sind!«
»Und ich habe gesehen, dass man sie verletzen kann«, beharrte Abberline. »Und alles, was verletzt werden kann, kann auch getötet werden. Geben Sie mir eine Chance, Bastet – oder möchten Sie, dass ich ihm vollkommen wehrlos gegenübertrete?«
Bast zögerte einen Moment. Ihre Logik sagte ihr, dass es nur eines gab, was sie vernünftigerweise für Abberline tun konnte – nämlich ihn niederschlagen und fesseln und dafür sorgen, dass ihn der Kutscher ans andere Ende der Stadt verfrachtete. Abberline konnte Horus nicht töten. Er würde wahrscheinlich nicht einmal merken, dass er in der Nähe war, bevor er starb. Horus war kein Mann, der vergab.
Doch dann schlug sie ihren Mantel zurück und schlug mit der flachen Hand auf die Schwertklinge. »Damit«, sagte sie.
Abberline schien nicht im Geringsten überrascht. »Man muss sie enthaupten.«
»Das ist eine Möglichkeit«, sagte Bast. »Oder ihm das Herz herausschneiden. Es nur zu durchbohren würde nicht viel bringen. Allerdings würde es Ihnen vielleicht die Zeit verschaffen, um weit genug wegzulaufen. Wenn Sie Glück haben. So, und jetzt wissen Sie nicht nur, wie man Horus töten kann, sondern auch mich.«
»Sie wollen mich verletzen«, konstatierte Abberline. »Sie wollen mich wütend machen, damit ich zu dem Schluss komme, dass es Ihnen ganz recht geschieht und Sie allein auf dieses Ungeheuer loslasse. Aber das funktioniert so nicht.«
»Ich will Ihnen das Leben retten, Sie Narr!«, sagte Bast heftig. »Verstehen Sie denn nicht? Ich kann Sie nicht beschützen und Sie mich noch weniger.«
»Jetzt unterschätzen Sie mich, Bastet«, sagte Abberline lächelnd.
Bast resignierte. Abberline hatte sich allem Anschein nach vorgenommen, sich durch nichts und niemanden von seinem hirnverbrannten Entschluss abbringen zu lassen, den Helden zu spielen. Also gut, dann eben anders.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Inspektor«, sagte sie. »Meine Vernunft und der mir selbst rätselhafte Umstand, dass ich Sie irgendwie sympathisch finde, raten mir, Sie zu einem Paket zu verschnüren und Ihrem Kutscher den Befehl zu erteilen, Sie nach Schottland zu fahren, ohne unterwegs auch nur einmal anzuhalten. Ich bin versucht, diesem Einfall nachzugeben, aber ich verzichte darauf, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, diesen Wagen nicht zu verlassen. Sie fahren mich zu dieser Kathedrale und warten hier drinnen auf mich, ganz gleich, was passiert! Habe ich Ihr Wort?«
Abberline sah sie eine ganze Weile nachdenklich an, aber schließlich ließ er ein resignierendes Seufzen hören und nickte.
Bast bedauerte nicht zum ersten Mal, dass er zu jener kleinen Gruppe von Menschen gehörte, deren Gedanken sie nicht lesen konnte. Aber eigentlich musste sie das auch nicht, um zu wissen, dass er log.
Abberline hatte nicht übertrieben, als er die St. Paul’s Cathedral als groß beschrieben hatte. Sie war gigantisch. In der Dunkelheit waren ihre wahren Dimensionen mehr zu erahnen als wirklich zu erkennen, aber Bast schätzte allein die Länge des eigentlichen Kirchenschiffes auf mindestens fünfhundert Fuß, wenn nicht mehr, und die gigantische weiße Kuppel, die sie krönte, schien sich trotzig dem Nachthimmel entgegenzurecken und ihn herauszufordern. Trotz der fortgeschrittenen Stunde – sie hatten tatsächlich so lange gebraucht, wie Abberline prophezeit hatte, und Bast war im Nachhinein sehr froh
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