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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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allerletzte bisschen Licht war erloschen, sodass selbst ihre nachtsichtigen Augen plötzlich blind waren.
    Dafür hörte sie nun wieder Schritte. Nicht annähernd so schnell wie zuvor, sondern ganz im Gegenteil vorsichtig und schleifend, und immer wieder scheinbar willkürlich die Richtung wechselnd. Bast triumphierte innerlich. Sie wusste immer noch nicht, mit wem sie es wirklich zu tun hatte – aber ganz offensichtlich verfügte der andere nicht über dieselben scharfen Sinne wie sie. Die Dunkelheit war lästig, hinderte sie aber nicht wirklich. Als sie weiterlief, tat sie es mit geschlossenen Augen, um sich ganz auf die anderen Sinneseindrücke konzentrieren zu können, aber kaum weniger schnell als zuvor.
    Entsprechend rasch schmolz der Abstand nun zusammen. Die schleifenden Schritte wurde lauter, wechselten noch ein- oder zweimal jäh die Richtung – und waren fort.
    Abermals blieb sie stehen, lauschte … aber da war nichts mehr. Nicht einmal mehr Atemzüge. Nur das Plätschern von fließendem Wasser war lauter geworden, und jetzt hörte sie auch noch ein anderes, neues Geräusch, das vorher nicht da gewesen war: ein Rascheln und Rennen und Scheuern, als rieben sich zahllose winzige haarige Leiber aneinander, manchmal auch ein schmerzerfülltes oder zorniges Pfeifen und Piepsen … Ratten, die vor irgendetwas flohen.
    Ein kurzes, zufriedenes Lächeln huschte in der Dunkelheit über Basts Gesicht, während sie die Richtung wechselte und weiterlief. Ihre Beute war schlau, aber sie spürte keine Verärgerung, sondern eher das Gegenteil. Ein Wild zu jagen, das sich wehrte und ihr mit List zu entkommen versuchte, machte die Jagd viel aufregender.
    Sinne, von denen sie trotz all der unzähligen Jahre, die ihr nun schon zur Verfügung standen, niemals wirklich begriffen hatte, wie sie funktionierten, warnten sie, dass sie an ihrem Ziel vorbeizulaufen drohte. Bast machte kehrt, wandte sich nach links und sah plötzlich wieder Licht: einen ungesunden, flackernden grauen Schein, der aus einer Öffnung im Boden heraufdrang. Vorsichtig, jederzeit auf einen Hinterhalt oder einen plötzlichen Angriff gefasst, ließ sie sich am Rande des Schachts in die Hocke sinken und beugte sich behutsam vor.
    Das Geräusch der flüchtenden Ratten wurde lauter, und sie konnte das Wasser, das sie bisher nur gehört hatte, jetzt sehen. Es floss träge, von weißem und grünem Schaum und den widerlichsten Beimengungen durchsetzt durch einen gemauerten Kanal zwanzig Fuß unter ihr. Im allerersten Moment war der Gestank so schlimm, dass sie zurückschreckte, aber dann wurde ihr Lächeln noch zufriedener. Ihr Gegner war schlau. Einem auch nur eine Winzigkeit weniger aufmerksamen Verfolger als ihr wäre er auf diese Weise vielleicht entkommen; möglicherweise wäre er sogar ihr entkommen, hätte sie die Jagd nicht längst ihrer dunklen Schwester überlassen.
    Dennoch blieb sie auf der Hut. Sie verwandte weitere fünf oder sechs Sekunden darauf, erneut und mit wieder geschlossenen Augen zu lauschen, bevor sie sich abermals vorbeugte und einen zweiten aufmerksamen Blick nach unten warf. Sie hatte von dem erstaunlichen System unterirdischer Kanäle und Abflüsse gehört, das sich unter den Kellern Londons erstreckte, hätte aber dennoch nicht etwas so Gewaltiges erwartet. Der Kanal war keine Röhre, sondern ein regelrechter gemauerter Fluss, mindestens dreißig Fuß breit. Das schwarze, stinkige Wasser machte es unmöglich, seine Tiefe zu erkennen, aber sie fühlte, dass er tief war, und die widerwärtige Brühe schoss mit der Geschwindigkeit eines Wildwasserbaches dahin. Abfall und Fäkalien tanzten darin, manchmal trug die Strömung auch einen größeren, formlosen Gegenstand mit sich, und obwohl sie flach und ganz bewusst nur durch den Mund atmete, schien der Gestank doch immer nur noch weiter zuzunehmen. Unmittelbar vor ihr begann eine Reihe eiserner Trittstufen, die senkrecht in die Tiefe führten. Der faulige Belag, der das rostzerfressene Metall bedeckte, war an einigen Stellen verschmiert; der erste wirkliche Fehler, der ihrem Gegner unterlaufen war. Vielleicht auch eine Falle.
    Sie würde es herausfinden.
    Ohne das geringste Zögern sprang sie in den Schacht, kam gut fünf oder sechs Meter tiefer unmittelbar neben dem Rand des Abwasserkanals auf und verfluchte sich selbst für ihren Leichtsinn, noch bevor sie auf dem glitschigen Belag aus Fäule und schmierigem Moos, der den Boden bedeckte, ausglitt und schwer auf den Rücken fiel. Sofort

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