Anubis - Roman
auch von Graves’ Standpunkt aus völlig absurd klingen musste: Immerhin hatte er ihn über eines seiner Bücher gebeugt angetroffen, als er hereingekommen war. Gleichzeitig kramte Mogens angestrengt in seinem Gedächtnis, aber es war fast erschreckend: Er konnte sich erinnern, in einem von Graves’ mitgebrachten Büchern gelesen zu haben, und er wusste sogar, dass ihm seine Lektüre etwas ungemein Wichtiges verraten hatte, aber er konnte sich partout nicht erinnern, was.
Nicht einmal mehr, welches Buch es gewesen war.
Graves seufzte. »Ich kann dich verstehen, Mogens. Ich an deiner Stelle würde wahrscheinlich nicht anders reagieren.« Wieder legte er eine kleine Pause ein. Der Schatten, in den er sich verwandelt hatte, drehte den Kopf direkt in Mogens’ Richtung, und er konnte seinen bohrenden Blick regelrecht spüren. Er schwieg.
»Also gut, ich verstehe«, seufzte Graves. »Du ziehst es vor, den Beleidigten zu spielen. Wahrscheinlich habe ich nicht das Recht, es dir übel zu nehmen, auch wenn ich gestehen muss, dass ich gehofft habe, es wäre anders. Im Grunde bin ich auch nur gekommen, um dir von deiner Miss Preussler auszurichten, dass das Abendessen in einer Viertelstunde bereit ist – und um mich bei dir zu entschuldigen.«
Spätestens jetzt wäre es Mogens’ Part gewesen, irgendetwas zu sagen – und sei es nur, eine entsprechende Frage zu stellen, die er als Stichwort nutzen konnte, um fortzufahren. Aber er schwieg beharrlich weiter.
»Du hattest vollkommen Recht, Wilson die Höhlenmalereien zu zeigen«, sagte Graves nach einer Weile. »Es war ganz genau die richtige Entscheidung. Unglaublich, sich vorzustellen, was dieser kleinmütige Hinterwäldler-Sheriff mit seinem Gerichtsbeschluss alles hätte anrichten können. Es war eine kluge Idee von dir, ihn direkt in die Höhle mit den Felsmalereien zu führen – sonst hat er doch nichts Relevantes gesehen, oder?«
Einen Moment lang spielte Mogens ganz ernsthaft mit dem Gedanken, das Gegenteil zu behaupten, nur um zu sehen, wie Graves sich wand und vor Schrecken kreidebleich wurde. Er fand durchaus Gefallen an dieser Vorstellung. Aber natürlich tat er nichts dergleichen, sondern schüttelte nur den Kopf.
Graves atmete hörbar auf. »Hervorragend«, sagte er. »Du hast genau das Richtige getan. Wilson ist jetzt wieder in seinem Büro in der Stadt und kommt sich vermutlich ungeheuer wichtig vor, weil wir ihn in unser Geheimnis eingeweiht haben. Bis er begreift, dass es in Wahrheit um etwas ganz anderes geht, ist es längst zu spät. Du hast ganz hervorragend reagiert, Mogens. Ich war es, der sich im Irrtum befand. Ich hoffe, du nimmst meine Entschuldigung an.«
»Betrachte es als Abschiedsgeschenk, Jonathan«, antwortete Mogens. »Freu dich darüber, denn es wird das unwiderruflich Letzte sein, was ich für dich getan habe.«
Graves zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. »Sind wir jetzt wieder so weit, dass du beleidigt die Koffer packst und wegrennst wie ein kleiner Junge, der seinen Willen nicht bekommen hat? Das wievielte Mal? Das dritte oder das vierte?«
»Das letzte Mal«, antwortete Mogens. »Darauf kannst du dich verlassen.«
Er hatte mit Widerspruch gerechnet, einem neuerlichen Versuch Graves’, ihn zum Bleiben zu überreden – oder ihn auch unter Druck zu setzen, je nachdem, welche Taktik ihm im Augenblick am erfolgversprechendsten erschien –, aber er tat nichts dergleichen, sondern hob nur die Schultern.
»Unglückseligerweise ist Sheriff Wilson dagegen, dass du und die entzückende Miss Preussler uns allzu schnell verlassen«, sagte er und stand auf. »Aber mach dir keine Sorgen. Ich werde nicht mehr versuchen, dich zu etwas zu überreden, was du nicht wirklich selbst willst.« Er wandte sich zur Tür und ging zwei Schritte, aber dann blieb er doch noch einmal stehen und drehte sich zu Mogens um. »Überleg es dir noch mal, Mogens«, sagte er. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du dir tatsächlich die Gelegenheit entgehen lässt, herauszufinden, warum Janice sterben musste.«
Miss Preussler hatte sich mit dem Abendessen selbst übertroffen, aber abgesehen von Tom wusste es niemand zu würdigen. Graves aß wie üblich nichts, hatte sich aber anscheinend in sein Schicksal gefügt und leistete ihnen schweigend und mit einer Tasse Kaffee Gesellschaft, während Mogens lustlos genug in seiner Portion herumstocherte, um anscheinend auch Miss Preussler selbst den Appetit auf ihr Essen zu vergällen. Sie sagte
Weitere Kostenlose Bücher