Anubis - Roman
schreckliche Art abzurutschen, als hätte es seinen Halt in der Wirklichkeit verloren und glitte nunmehr vollends in die Dimension des Irrsinns ab, in der die Albträume entstanden. Ihre Augen füllten sich mit tintiger Schwärze, und unter ihrer Haut begannen sich Dinge zu bewegen.
»Warum hast du mich im Stich gelassen, Mogens?«, fragte das Gesicht, das sich immer vergeblicher bemühte, Janice zu sein. »Ich habe dir vertraut, aber du hast mich im Stich gelassen.« Auch ihre Stimme war nicht die von Janice. Sie hatte keine Ähnlichkeit damit, ja, nicht einmal mehr wirklich mit irgendeiner menschlichen Stimme, sondern war wie ein nasses, mühsames Gluckern und Röcheln, als hätte der Sumpf, der sich unaufhörlich an das Gebäude heranschob, plötzlich zur Sprache gefunden. Die Gestalt hob die Hände, aber sie führte die Bewegung nicht zu Ende, denn ihre Finger begannen zu schmelzen, verwandelten sich in ein weißes, wimmelndes Durcheinander aus wuselndem Gewürm und nassen Maden, die sich noch einen Moment lang in der unnatürlichen Erscheinungsform hielten, in die eine unheimliche Macht sie hineingepresst hatte, bevor sie auseinander brachen und auf das Fußende seines Bettes herabfielen.
Die Vorstellung, dasselbe könne im nächsten Augenblick mit ihrem Gesicht passieren, war mehr, als er ertragen konnte. Mogens schrie so gellend auf, als hätte man ihm einen glühenden Dolch in die Brust gestoßen, warf sich herum und fiel von der schmalen Liege. Er schlug so hart mit dem Gesicht auf dem Boden auf, dass ihm vor Schmerz fast übel wurde. Er schmeckte Blut, wälzte sich stöhnend herum und sah einen Schatten aus dem Augenwinkel, der um das Bett herum und auf ihn zuglitt, ein Schemen mit zerfallenden Händen und schmelzendem Gesicht, das mit der Stimme des Sumpfes sprach.
Mit der Kraft schierer Todesangst sprang Mogens auf. Sein Hüftknochen stieß dabei mit solcher Wucht gegen die Tischkante, dass das gesamte Möbel ins Wanken geriet und rote Nebel aus purer Qual vor seinen Augen zu tanzen begannen. Wimmernd vor Pein und mit der rechten Hand schwer auf die Tischplatte gestützt humpelte Mogens weiter, erreichte irgendwie die Tür und riss sie auf.
Die kalte Luft traf ihn wie ein Schlag. Mogens taumelte, erinnerte sich im allerletzten Moment der drei Stufen, welche die Tür über den schlammigen Platz erhoben, und brachte es irgendwie fertig, nicht der Länge nach in den Morast zu stürzen, sondern nur einen fast grotesk anmutenden Ausfallschritt zu machen, an dessen Ende er auf das rechte Knie herabsank. Der Schmerz, der dabei durch seine angeschlagene Hüfte tobte, war so schlimm, dass er ein gequältes Wimmern hören ließ. Tränen schossen ihm in die Augen. Dennoch rappelte er sich hastig auf, stolperte einen Schritt zurück und ließ sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Treppenstufen sinken.
Es dauerte gute drei oder vier Minuten, bis der Schmerz in seiner Hüfte allmählich verebbte. Er zitterte am ganzen Leib, und saurer Speichel hatte sich unter seiner Zunge angesammelt. Mogens widerstand der Versuchung, ihn herunterzuschlucken – davon wäre ihm garantiert endgültig übel geworden –, beugte sich vor und spie einen dicken Schleimklumpen in den Morast; mit dem Ergebnis, dass ihm nun durch das davon herrührende Ekelgefühl schlecht wurde. Mogens saß gute weitere fünf Minuten auf der Treppe und wartete mit geschlossenen Augen darauf, dass seine Eingeweide aufhörten zu rebellieren.
Das geschah auch, aber langsam, und die abklingende Übelkeit ließ ein Gefühl der Schwäche in seinen Gliedern zurück, das auf seine Art fast ebenso schlimm war. Selbst die kleine Bewegung, mit der er schließlich die Hand hob und sich den kalten Schweiß vom Gesicht wischte, schien ihn fast mehr Kraft zu kosten, als er aufbringen konnte.
Und dennoch war Mogens fast froh über diese körperliche Schwäche, lenkte sie ihn doch von der panischen Angst ab, die ihn aus dem Haus getrieben hatte. Mogens wusste nicht, auf wen er wütender sein sollte – auf Graves, der mit seinen Worten diese grässliche Vision heraufbeschworen hatte, oder auf sich selbst, sich so manipulieren zu lassen, obwohl er die Absicht hinter Graves’ Bemerkung durchschaut hatte.
Er streckte vorsichtig das rechte Bein aus. Es tat weh, und wahrscheinlich würde seine ganze rechte Hüfte spätestens morgen früh ein einziger blauer Fleck sein, aber er spürte zugleich auch, dass das Bein sein Gewicht tragen konnte. Er stand auf, machte
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