Anubis - Roman
sich der große Ford nach Osten mühte, weiter zusammenschmolz. Er verspürte dennoch ein merkwürdiges Gefühl von Erleichterung, das ebenso unerklärlich wie intensiv war. Vielleicht, dass unter der Oberfläche des scheinbar so reglos daliegenden Meeres etwas lauerte, das er zwar nicht sehen, dafür aber umso deutlicher fühlen konnte.
Er dachte noch einige Augenblicke über diesen sonderbaren Gedanken nach und schob ihn dann mit einem Schulterzucken von sich. Solcherlei Überlegungen waren nicht nur müßig, sondern eines Mannes wie ihm auch schlicht unwürdig. Selbstverständlich war da etwas unter der Oberfläche des Meeres. Der Ozean wimmelte geradezu von Leben, das dieses stille, zum allergrößten Teil lichtlose Universum in ungleich größerem Maße erobert hatte als das Land. Doch in all der gewaltigen Anzahl fremdartiger und möglicherweise sogar bizarrer und tödlicher Kreaturen, die in seinen unerforschten Tiefen lauern mochten, war nicht eine einzige, die er fürchten musste; zumindest nicht jetzt, während er in einem Wagen saß, der sich mit dreißig oder auch vierzig Meilen pro Stunde vom Meer entfernte. Seine eigenen Nerven begannen ihm Streiche zu spielen, die offensichtlich umso böser wurden, je weiter der Tag fortschritt. Und er kannte sogar die Gründe dafür.
Einer – und zweifellos der schwerwiegendste – war Doktor Jonathan Graves, den er vermutlich binnen einer Stunde wiedersehen würde. Mogens hatte im Verlauf der zurückliegenden vier Tage an nicht sehr viel anderes gedacht als an sein bevorstehendes Zusammentreffen mit seinem ehemaligen Kommilitonen, und seine Gefühle waren in diesen vier Tagen ein reines Wechselbad gewesen, die manchmal binnen einer einzigen Minute von einem Extrem zum anderen geschwankt hatten: Blanker, unverfälschter Hass auf den Mann, der sein Leben zerstört hatte, hatte sich mit Verachtung abgewechselt – die zu einem nicht geringen Teil ihm selbst galt, dass er es überhaupt in Betracht zog, dieses unwürdige Angebot anzunehmen –, mit kindischem Trotz und Abgründen tiefsten Selbstmitleids bis hin zu einer Überlegung, von der er sich zumindest selbst einreden konnte, dass sie von reiner Vernunft diktiert wurde: Letzten Endes spielte es keine Rolle, warum er sich in der Lage befand, in der er nun einmal war. Fakt war, dass er sich nicht in einer Position befand, wählerisch sein zu können. Man biss nicht in die Hand, die einen fütterte; nicht einmal dann, wenn sie einen zuvor geschlagen hatte.
»Es dauert jetzt nicht mehr lange, Professor.« Die Stimme des jungen Mannes, der links neben Mogens saß und hinter dem gewaltigen Lenkrad des Ford mindestens so verloren und hilflos aussah, wie Mogens selbst sich fühlte, riss ihn unsanft, aber willkommen aus seinen düsteren Überlegungen. Offensichtlich deutete der Junge Mogens’ irritierten Blick auch falsch, denn er nahm die rechte Hand vom Steuer und wies nach vorne, wo ein schmaler Weg von der selbst alles andere als breiten Hauptstraße abzweigte, um nach wenigen Metern zwischen wucherndem Gestrüpp und mächtigen Findlingen zu verschwinden. Ohne die deutende Geste seines jugendlichen Chauffeurs hätte Mogens ihn vermutlich nicht einmal gesehen, so schmal war er. »Noch eine knappe Meile, dann haben wir ’s geschafft.«
»Aha.« Die Antwort – das war Mogens klar – musste aller Wahrscheinlichkeit nach leicht unhöflich wirken, wenn nicht gar wie ein glatter Affront. Aber sein Fahrer war wohl noch jung genug, um die verkappte Beleidigung darin nicht zur Kenntnis nehmen zu können – oder zu wollen. Ganz im Gegenteil wedelte er noch heftiger mit der Hand, während er zugleich mit den Füßen auf Kupplung und Bremse des Ford herumzustampfen begann.
Mogens folgte den scheinbar ziellosen Bewegungen einen Moment mit sachtem Interesse. Er hatte niemals Auto fahren gelernt und verspürte auch nicht den Drang, dies zu tun. Der Pragmatiker in ihm sah die Nützlichkeit eines Automobils durchaus ein und wusste auch den Umstand zu schätzen, dass sie die Strecke, für die er zu Pferde oder mit einer Droschke mindestens drei, wenn nicht vier Stunden gebraucht hätte, so in einem Bruchteil dieser Zeit zurücklegen konnten. Aber ihm selbst waren Automobile suspekt, um nicht zu sagen: unheimlich. Möglicherweise lag es einfach an den vier Jahren, die er in Thompson verbracht hatte. Die Zeit war nicht so lang, dass der technische Fortschritt ihn hätte überrollen können, denn es hatte selbst in diesem
Weitere Kostenlose Bücher