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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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mitzuteilen, dass er hier bleiben und möglicherweise sogar ihren Avancen nachzugeben gedachte; im Gegenteil. Um Zeit zu gewinnen, griff er nach einem von Miss Preusslers Zimtplätzchen und biss hinein. In der nächsten Sekunde spuckte er den Bissen wieder aus, schleuderte den Rest des Zimtsterns in hohem Bogen davon und kämpfte mit aller Macht gegen den Brechreiz an, der regelrecht aus seinem Magen herauf explodierte. Ein unbeschreiblich widerwärtiger Geschmack erfüllte seinen Mund. Mogens krümmte sich in seinem Sessel, würgte qualvoll und schluckte einen Klumpen bitterer Galle herunter, der aus seinem Magen heraufgekrochen war. Das machte seine Übelkeit nur noch schlimmer, aber er kämpfte weiter dagegen an, und sei es nur aus dem absurden Grund, dass er es Miss Preussler nach allem nicht auch noch antun wollte, sich auf ihren Teppich zu übergeben.
    Miss Preussler starrte ihn aus aufgerissenen Augen an und verlor schon wieder alle Farbe aus dem Gesicht. »Aber was …?«, begann sie, verstummte dann zutiefst verstört mitten im Wort und griff ebenfalls nach einem Zimtstern. Mit spitzen Fingern brach sie ihn entzwei und stieß gleich darauf selbst einen würgenden Laut aus. Mogens beging den Fehler, den Blick zu heben, und seine Übelkeit verstärkte sich beinahe noch, als er das Innere des Zimtsterns sah.
    Das Gebäck war zu einer schleimig-schmierigen Masse geronnen, in der es unentwegt brodelte und kroch, wie die Oberfläche eines Schlammvulkans, auf der Gasblasen aus der Tiefe der Erde explodierten, oder als versuche etwas Lebendes ins Freie zu kriechen. Wenn er jemals ein verdorbenes Lebensmittel gesehen hatte, dann war es dieser Zimtstern. Schon der Gedanke, dass er gerade in ein solches Plätzchen hineingebissen hatte, verstärkte seine Übelkeit noch einmal um ein Vielfaches.
    »Aber das … das kann doch gar nicht sein«, ächzte Miss Preussler. »Das ist nicht möglich! Ich habe diese Plätzchen heute Morgen gemacht! Mit Zutaten, die ich frisch gekauft habe.«
    »Eine davon muss wohl schlecht gewesen sein«, sagte Mogens mühsam. Er vermied es, einen Blick in seine Tasse zu werfen, um nicht zu sehen, welche Überraschungen dort möglicherweise noch auf ihn warteten. Sein Magen revoltierte auch so schon schlimm genug.
    »Ich … ich verstehe das einfach nicht«, stammelte Miss Preussler. »Das ist … ist …« Sie brach ab, schüttelte hilflos den Kopf, warf die beiden Hälften des Zimtplätzchens mit einer angewiderten Bewegung ins Feuer und stand auf.
    »Heute ist wirklich nicht mein Glückstag«, sagte sie in dem schwachen Versuch, die Situation durch einen scherzhaften Ton zu entspannen. »Ich sollte das jetzt wegwerfen. Und danach werde ich hinüber in den General-Store gehen und ein ernstes Wort mit der Verkäuferin reden.«
    Sie nahm den Teller mit den verdorbenen Plätzchen in die Hand und wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal zu ihm um. »Die letzte Stunde ist etwas unglücklich verlaufen. Ich hoffe doch, dass das keinen Einfluss auf Ihre Entscheidung hat?«
    »Bestimmt nicht«, versicherte Mogens, löste seinen Blick mit einiger Mühe von dem Teller mit Zimtsternen in Miss Preusslers Händen und sah wieder den Umschlag an, den Graves zurückgelassen hatte. »Ich habe mich noch nicht entschieden, Miss Preussler, aber ich versichere Ihnen, dass ich keine vorschnelle Entscheidung treffen werde.«
    Vier Tage später stieg er auf dem Bahnhof von San Francisco aus dem Zug und rief die Telefonnummer an, die Graves ihm gegeben hatte.

Obwohl der Pazifik so glatt wie ein Spiegel aus gehämmertem Kupfer dalag, überzog ihn das Licht der untergehenden Sonne doch mit einem Muster aus filigran flirrender Bewegung. Man konnte es nicht allzu lange ansehen, denn die grellen Lichtreflexe hinterließen schmerzhafte Nachbilder auf den Netzhäuten, die auch dann nochblieben, wenn man die Augen schloss und den Blick wandte, dennoch aber den Eindruck vager Bewegung tief unter der Oberfläche des gewaltigen Ozeans noch verstärkten.
    Das Meer geriet langsam außer Sicht. Zu Mogens’ insgeheimer Enttäuschung waren sie nicht über die berühmte Brücke gefahren, sondern bewegten sich von der Küste fort landeinwärts. Mogens vermutete, dass das Meer gar nicht mehr zu sehen sein würde, noch bevor die Sonne ganz untergegangen war – also in spätestens einer halben Stunde. Der Ozean war schon jetzt zu einer schmalen Kupfersichel zur Linken zusammengeschrumpft, die mit jeder Meile, die

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