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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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spät wäre! Die beiden Ghoule waren allerhöchstens noch drei oder vier Schritte entfernt, und Mogens hatte schon mehr als einmal erlebt, wie unglaublich schnell diese scheinbar so schwerfälligen Geschöpfe sein konnten. Er konnte rennen und wie ein Feigling auf der Flucht sterben oder das tun, was er vor neun Jahren hätte tun sollen, und sich seinem Schicksal stellen. Statt Graves zu folgen, drehte er sich wieder um und erwartete den Tod. Er hatte keine Angst. Er hat gesehen, was die Klauen dieser Monster anrichten konnten. Es würde schnell gehen.
    Die beiden Ungetüme waren bis auf zwei oder drei Meter herangekommen, nun aber erstaunlicherweise stehen geblieben. Tiefe, drohende Knurrlaute drangen aus ihren Kehlen, und beide hatten die Zähne gefletscht und die Lefzen hochgezogen. Mogens spürte ihre Wut und Wildheit, aber da war auch noch mehr. Jedes einzelne dieser Geschöpfe war in der Lage, ihn in einer Sekunde in Stücke zu reißen, und dennoch spürte er etwas, das zwischen Respekt und Furcht schwankte. Da war etwas, was Graves gesagt hatte. Aasfresser. Sie waren Aasfresser, keine Beutejäger, und genau wie Geier oder Hyänen waren sie schreckliche Gegner, wenn sie zum Kampf gezwungen wurden, aber sie wichen ihm dennoch aus, solange es nur ging.
    Vorsichtig, unendlich langsam, um nicht durch eine unbedachte Bewegung doch noch einen Angriff zu provozieren, hob er die Arme und wich rückwärts gehend vor den beiden Ghoulen zurück. Eine der Bestien schnappte nach ihm, aber es war eine reine Drohgebärde; die zusammenschlagenden Kiefer kamen nicht einmal in seine Nähe. Unendlich behutsam machte er einen weiteren Schritt.
    Hinter den beiden Ungeheuern bewegte sich ein Schatten, und Mogens hörte ein halblautes Stöhnen.
    »Tom, um Gottes willen, bleib liegen!«, keuchte er. »Rühr dich nicht!«
    Er sah nicht hin, um sich davon zu überzeugen, dass Tom seine Warnung beherzigte, sondern machte einen weiteren Schritt und dann noch einen und noch einen, bis er neben Graves stand.
    »Mogens, was …«, begann Graves.
    »Still!«, unterbrach ihn Mogens hastig, aber in so erschrockenem Ton, dass Graves mitten im Satz verstummte. »Sie tun uns nichts! Sieh doch! Ich glaube, sie wollen nur ihren Kameraden befreien!«
    Tatsächlich waren ihm die beiden Ghoule nicht weitergefolgt, sondern näherten sich – noch immer misstrauisch schnüffelnd, knurrend und dann und wann drohend in seine und Graves’ Richtung schnappend – dem Sarg, in dem der gefangene Leichenfresser lag. Mogens erschauerte, als er sah, mit welcher Leichtigkeit ihre Krallen die daumendicken Stricke des Netzes zerfetzten. Nur einen Moment später zerbrachen auch die eisernen Fesseln, die den Ghoul hielten, und die Kreatur richtete sich mit einem triumphierenden Heulen auf. Ihre wie spitze, nadelscharfe Dolche gebogenen Fänge schnappten wütend in Mogens’ Richtung. Übel riechender Geifer troff von ihren Lefzen, und in ihren Augen loderte die blanke Mordlust, aber auch sie machte keine Anstalten, sich auf ihn oder Graves zu stürzen.
    Stattdessen gesellte das Wesen sich zu seinen beiden Kameraden, die sich schnüffelnd und knurrend dem Kasten mit Hyams’ Leichnam näherten. Ein einziger, wütender Krallenhieb zerfetzte den Deckel aus fast fingerdickem Eichenholz, ein zweiter Hieb ließ die Metallbänder davonfliegen, mit denen er verstärkt war. Eines der Geschöpfe stieß ein triumphierendes Zischen aus, während es sich vorbeugte und den Leichnam der Archäologin in die Höhe riss.
    Irgendwo hinter ihnen erscholl ein lautstarkes Scheppern und Klirren, und als Mogens erschrocken herumfuhr, sah er ein flackerndes gelbrotes Licht, das sich durch den Hieroglyphengang näherte.
    » Ju – hu, Doktor Gra – haves? Professor?«, ertönte eine wohl bekannte, schrille Stimme. »Ich bin es, Betty Preussler!« Das Flackern der Kerze kam näher, und einen Augenblick später wurde auch die Besitzerin der Stimme sichtbar, die mit einem Tablett voll schepperndem Geschirr, einer dampfenden Kanne und der brennenden Kerze vor der Brust auf sie zu kam. »Ich dachte mir, wenn Sie schon nicht auf mich hören und die ganze Nacht durcharbeiten, dann bringe ich Ihnen wenigstens einen starken Kaffee.«
    »Um Gottes willen«, keuchte Mogens. Dann spürte er die Bewegung hinter sich und schrie, so laut er konnte: »Miss Preussler! Laufen Sie weg! Retten Sie sich!«
    Selbstverständlich lief Miss Preussler nicht weg, sondern machte im Gegenteil noch zwei weitere

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