Anubis - Roman
Schritte, bevor sie stehen blieb und verständnislos in seine Richtung blinzelte. »Aber Professor«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen doch nur …«
Mogens hörte, wie Graves hinter ihm entsetzt aufschrie und sich zur Seite warf, dann traf ihn etwas mit solcher Wucht in die Seite, dass er gegen die Wand geschleudert wurde und benommen in die Knie brach. Eine rote Lohe aus reinem Schmerz explodierte vor seinen Augen, sodass er für einen Moment fast blind war. Aber er hörte Miss Preussler schreien, dann das Scheppern von Metall und das helle Splittern von zerbrechendem Porzellan, und dann noch einmal ihre Schreie, höher, spitzer diesmal, und von einem Entsetzen erfüllt, das selbst den Nebel aus Schmerz durchdrang, der sich über Mogens’ Sinne gelegt hatte. Stöhnend wälzte er sich herum und zwang sich, die Augen zu öffnen.
Graves war auf der anderen Seite des Ausgangs ebenfalls gegen die Wand geprallt und zu Boden gesunken. Er hatte die Knie an den Leib gezogen und die Unterarme schützend vors Gesicht gerissen. Einer der Ghoule stand drohend über ihn gebeugt da, knurrte und geiferte ihn an und schlug manchmal mit den Krallen in seine Richtung, ohne ihn indes auch nur zu berühren. Der zweite Ghoul hatte sich Hyams’ Leichnam über die Schulter geworfen und entfernte sich humpelnd, und gerade in diesem Augenblick tauchte das dritte Ungeheuer aus dem Gang auf. Es hatte Miss Preussler mit beiden Armen gepackt und trug sie ohne die geringste Mühe, und zumindest war sie noch am Leben und bei Bewusstsein, denn sie kreischte aus Leibeskräften, schlug und trat wie besessen auf ihren Entführer ein und versuchte gar, ihm mit den Fingernägeln das Gesicht zu zerkratzen. Das Ungetüm zeigte sich davon jedoch nicht im Geringsten beeindruckt, sondern machte sich im Gegenteil nicht einmal die Mühe, ihre Attacken abzuwehren.
Beseelt vom Mut der Verzweiflung, sprang Mogens hoch und warf sich auf den Ghoul.
Es gelang ihm nicht, das Ungeheuer zu Boden zu werfen oder es auch nur dazu zu bringen, sein hilflos strampelndes Opfer loszulassen. Der Ghoul reagierte mit einem unwilligen Knurren und einer blitzartigen Bewegung, die fast beiläufig aussah, Mogens aber mit der Wucht eines Hammerschlags traf und ihm die Luft aus den Lungen trieb. Messerscharfe Krallen schlitzten sein Hemd auf, und er hatte weniger Glück als Graves zuvor: Vier grausame, parallel verlaufende Linien aus gleißendem Schmerz rasten von seinem Oberschenkel bis fast unter seine Achsel hinauf, und Mogens sank erneut auf die Knie und fiel gleich darauf auf die Seite. Warmes Blut lief klebrig und schwer an seinem Körper herab, und der Schmerz wurde so schlimm, dass er darum flehte, das Bewusstsein zu verlieren.
Diese Gnade wurde ihm nicht gewährt. Mogens trieb eine Zeit lang auf dem schmalen Grat zwischen Wachsein und Ohnmacht dahin, aber schließlich kämpfte er sich mühsam wieder ins Bewusstsein zurück – absurd genug, denn zugleich wünschte er sich auch nichts mehr, als endlich von der grausamen Qual erlöst zu werden. Aber da war noch etwas, was er tun musste, etwas, das wichtiger war als seine Furcht, mehr wog als der grässliche Schmerz. Er stemmte sich hoch, stürzte prompt auf die verwundete Seite und wimmerte vor Schmerz, aber irgendetwas gab ihm die Kraft, die Pein niederzukämpfen und sich ein weiteres Mal in die Höhe zu arbeiten.
Es konnte nicht lange gedauert haben. Die Ghoule waren verschwunden, aber er glaubte noch einen verschwommenen Schatten irgendwo vor sich zu erkennen, und Miss Preusslers verzweifelte Schreie waren zwar leiser geworden, aber keineswegs verstummt. Taumelnd kam Mogens auf die Füße, presste die Hand auf die verletzte Seite und krümmte sich vor Schmerz, zwang sich aber dennoch, einen weiteren Schritt zu tun. Miss Preusslers Schreie wurden leiser, zugleich aber deutlich verzweifelter.
»Mogens, was tust du?«, schrie Graves.
Mogens ignorierte ihn, zwang sich zu einem weiteren Schritt und biss die Zähne zusammen, um ein Wimmern zuunterdrücken. Er wagte es nicht, an sich hinabzublicken, aber er spürte, wie nass und schwer seine Kleider von seinem eigenen Blut waren. Er hatte noch nie zuvor solche Schmerzen erlitten. Dennoch stolperte er weiter, zwang sich stöhnend, sich vollends aufzurichten, und schaffte es sogar, seine Schritte um eine Winzigkeit zu beschleunigen. Miss Preusslers Schreie wurden leiser, aber noch waren sie zu hören. Er musste sie retten. Ganz gleich wie. Ganz gleich, was es ihn kostete. Es
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