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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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durfte nicht noch einmal geschehen. Er durfte nicht noch einmal versagen.
    »Mogens, bist du wahnsinnig?«, brüllte Graves hinter ihm. »Bleib hier! Sie werden dich umbringen!«
    Mogens taumelte weiter. Er konnte spüren, wie vielleicht nicht das Leben, wohl aber mehr und mehr von seiner Kraft aus den schrecklichen Wunden aus ihm herausfloss, die ihm die Bestie geschlagen hatte. Und trotzdem taumelte er nicht nur weiter, sondern wurde auch mit jedem stolpernden Schritt schneller. Um ein Haar wäre er gestürzt, als sein Fuß gegen den abgebrochenen Schädel der Pferdestatue stieß, aber schließlich erreichte er die Geheimtür, die hinter der Horus-Statue lag. Der steinerne Göttervogel war zerborsten und lag in mehrere Stücke zerbrochen am Boden, und auch die Tür selbst war wie von einem gewaltigen Axthieb gespalten. Dahinter gähnte ein scheinbar bodenloser, vollkommen schwarzer Abgrund.
    Eine zitternde Linie aus bleichem Licht glitt über ihn hinweg und tastete nach dem offen stehenden Geheimgang. Mogens hielt verwirrt mitten im Schritt inne und wandte den Kopf. Graves hockte noch immer an der Wand neben dem Ausgang und schrie ihm weiter verzweifelte Warnungen zu, umzukehren, aber Tom hatte weitaus besonnener reagiert und folgte ihm nicht nur, sondern hatte sich auch eine der beiden brennenden Laternen gegriffen.
    »Professor! Um Gottes willen! Warten Sie!«
    Mogens stolperte noch einen halben Schritt weiter und blieb dann – fast zu seiner eigenen Überraschung – tatsächlich stehen. Alles drehte sich um ihn, wurde unwichtig, unddie Schmerzen hatten ein Maß erreicht, das er sich noch vor wenigen Augenblicken nicht einmal hätte vorstellen können, war zugleich aber auf eine sonderbare Art nebensächlich geworden, sodass er ihn kaum noch störte. Es war Toms Stimme gewesen, die ihn zurückgerufen hatte. Wäre es Graves gewesen, wäre er vielleicht aus schierem Trotz einfach weitergetorkelt, selbst wenn es seinen sicheren Tod bedeutete.
    Vielleicht war es auch schon zu spät. Die Wunden, die ihm der Ghoul zugefügt hatte, bluteten immer heftiger. Seine Kleider hingen nass und schwer an seinem Leib, und er konnte den süßlichen Kupfergeruch, den er verströmte, mittlerweile selbst spüren. Er war Beute. Alles an ihm signalisierte: Beute. Und er floh nicht vor seinen Jägern, er rannte ihnen hinterher .
    Tom langte schwer atmend neben ihm an. Die Laterne in seiner Hand zitterte so stark, dass ihr Lichtschein die Hieroglyphen in den Wänden zu unheimlichem, huschendem Leben zu erwecken schien. Metall blitzte in seiner anderen Hand, vielleicht eine Waffe, und auch sein Gesicht war blutüberströmt, aber Mogens vermochte nicht zu sagen, ob es sein eigenes Blut war.
    »Geht es noch?«
    Mogens hatte Mühe, den Worten irgendeinen Sinn abzugewinnen. Die Höhle hatte aufgehört, sich um ihn zu drehen, und die Welt begann zu steinerner Härte zu gerinnen, die ihn zu erdrücken drohte. Er bekam keine Luft mehr, als enthielte jeder gequälte Atemzug, zu dem er seine Lungen zwang, ein bisschen weniger Sauerstoff als der vorhergehende. Ein Teil von ihm begriff mit kristallener Klarheit, dass es die Folgen des Blutverlustes waren, die er spürte; der Wissenschaftler in ihm, der ihm in emotionslosem Ton erklärte, was genau in diesem Moment in seinem Körper geschah: Sein Herz schlug immer schneller, um sein Blut mit dem Sauerstoff anzureichern, den jede Faser seines Körpers so verzweifelt benötigte, aber ganz gleich, wie angestrengt Herz und Lungen auch arbeiteten, es war einfach nicht mehr genug Blut da , um den kostbaren Sauerstoff dorthin zu bringen, wo er gebraucht würde.
    Oder, um es anders auszudrücken: Er war dabei, bei vollem Bewusstsein zu verbluten.
    »Ja«, murmelte er.
    Toms Blick wurde für einen Moment noch besorgter. Eine weitere, unendlich kostbare der so verzweifelt wenigen Sekunden, die ihm noch blieben, verstrich und war unwiederbringlich dahin, bevor Tom zu einem Entschluss kam und nickte.
    »Also gut«, sagte er und hielt ihm die Hand hin. Was Mogens für eine Waffe gehalten hatte, war eine klobige Lampe, die weißes Licht und einen scharfen Karbidgeruch verströmte, als Tom sie entzündete. Sie wog eine Tonne. Mogens musste beide Hände zu Hilfe nehmen, um sie zu halten, und selbst dann war er nicht sicher, sie nicht doch nach ein paar Schritten fallen zu lassen. Es spielte keine Rolle mehr. Tom machte abrupt auf dem Absatz kehrt und drang mit schnellen Schritten in den Hieroglyphengang ein, und

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