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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zu Mogens’ eigener, unendlich großer Überraschung gelang es ihm nicht nur, ihm zu folgen, sondern auch, mit ihm Schritt zu halten. Der Teil von ihm, der sich noch immer mit verzweifelter Kraft an eine Illusion namens Logik klammerte und ihm zuschrie, dass er dabei war, sich umzubringen, wurde leiser; verzweifelter und hysterischer, aber leiser. Er hatte Recht – Mogens konnte mittlerweile tatsächlich spüren, wie das Leben in harten, pulsierenden Stößen aus ihm herausfloss. Seine Schritte hinterließen blutige Fußabdrücke auf dem staubigen Boden, und die Schmerzen gingen allmählich in ein auf absurde Weise fast angenehmes Schwindelgefühl über. Aber es war gleich. Mochte der Tod dort vorne am Ende des Tunnels auf ihn warten, er musste ihn zu Ende gehen, um seine Schuld dem Schicksal gegenüber zurückzuzahlen. Es durfte nicht noch einmal geschehen.
    Gegen Ende des Tunnels begann Toms Vorsprung doch sichtbar anzuwachsen. Der hektisch hin und her tanzende Schein seiner Lampe entfernte sich allmählich und war dann plötzlich verschwunden, um nur einen Moment später blasser und sonderbar zerfasert wieder aufzutauchen. Er hatte dieSchutthalde überwunden und die Torkammer betreten. Mogens hörte ihn irgendetwas rufen, aber er verstand die Worte nicht. Vielleicht war es auch nur ein Schrei.
    Mogens versuchte ihm zu folgen, aber seine Kraft reichte nicht mehr. Todesangst und Panik und ein seit einem Jahrzehnt geschürter Trotz dem Schicksal gegenüber hatten es ihm ermöglicht, auch jene letzten Kraftreserven anzuzapfen, die tief in jedem Menschen verborgen sind, aber nun neigte sich auch jenes letzte Reservoir dem Ende entgegen. Seine Kraft reichte noch, sich die Schutthalde hinaufzuquälen, aber nicht weiter. Auf ihrem Kamm brach er zusammen. Die Lampe entglitt Mogens aus von seinem eigenen Blut glitschig gewordenen Fingern, ging aber erstaunlicherweise nicht aus, sondern rollte auf der anderen Seite klappernd und sich unentwegt überschlagend die Halde hinab, wodurch ihr Licht in regelmäßigem Takt erlosch und wieder grell aufflammte, ein glühender Dolch, der weiße Bahnen aus geometrischen Linien und Winkeln in die Dunkelheit schnitt, Teile von Skulpturen und bizarre Halbgesichter aus der ewigen Nacht schälte und rascher wieder in ihr finsteres Gefängnis zurückstieß, als der Blick sie erfassen konnte, ließ Hieroglyphen und Basreliefs aufblitzen und zu einer Bewegung erwachen, die nicht sein durfte. Aber da war auch noch mehr. Trotz seines geschwächten Zustandes und obwohl der Bewusstlosigkeit ungleich näher als dem Wachsein erkannte Mogens: Es waren nicht nur die Schatten. Genau auf der Schwelle zwischen gleißender Helligkeit und absoluter Schwärze, auf dem unendlich schmalen Grat, an dem sich Licht und Schatten endgültig voneinander trennten und aus dem Janice zu ihm gekommen war, bewegte sich etwas . Da waren … Dinge . Unheimliche, gestaltlose Dinge, die sich bewegten, ohne jemals von der Stelle zu kommen, Dinge, deren Zeit verging, ohne dass auch nur der millionste Teil einer Sekunde verstrich.
    Dann erlosch die Lampe mit einem endgültigen, hellen Klingen und dem Splittern von Glas, und barmherzige Dunkelheit senkte sich über die Kammer und gebot dem Wahnsinn Einhalt, der seine Klauen bereits in Mogens’ Verstand geschlagen hatte
    Aber nur für einen Moment, viel, viel zu kurz, dann flammte Toms Lampe anstelle seiner eigenen, erloschenen auf, und wenn Mogens geglaubt hatte, es könne nicht mehr schlimmer kommen als in jenem winzigen zeitlosen Moment, in dem er einen Blick in den Abgrund zwischen Licht und Dunkel geworfen hatte, so sah er sich getäuscht.
    Der eng gebündelte Strahl aus Toms Lampe tastete nicht über die Wände und erweckte auch die Hieroglyphen und gemeißelten Reliefs nicht zum Leben. Er fiel genau auf das monströse steinerne Tor am anderen Ende der Halle.
    Es stand offen.
    Aber es war nicht leer.

Diesmal wusste er von Anfang an, dass es ein Traum war. Aber dieses Wissen half ihm nicht gegen den Schrecken, den der Traum brachte: Janice war da, aber auch Graves, und irgendwie schien auch Miss Preussler anwesend zu sein, obwohl er sie weder sah noch hörte oder es irgendein anderes Anzeichen ihrer Anwesenheit gegeben hätte.
    »Warum hast du sie im Stich gelassen, Mogens?«, fragte Janice. »Du hättest das nicht tun dürfen. Nicht noch einmal. Zuerst hast du mich verraten, und nun sie.«
    Anders als zuvor brauchte sie diesmal keinen Vorwand, um in seinen Traum zu

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