Anubis - Roman
dazu auf diese sonderbare Weise zu bandagieren, und Jonathan tat prinzipiell nichts Sinnloses.
Mogens sah sich unversehens mit einem neuen, vollkommen unerwarteten Problem konfrontiert, als er damit begann, seine Bandagen zu lösen. Durch die eng geschnürten Binden praktisch des Geschicks beider Hände beraubt, war es ihm nahezu unmöglich, den straff angelegten Verbandstoff auch nur zu lockern. Erst als er die Zähne zu Hilfe nahm, gelang es ihm, einen Anfang an seiner linken Hand zu machen. Er bezahlte dafür mit so heftigen Schmerzen, dass ihm die Tränen in die Augen schossen, und fast noch schlimmer war der Geschmack. Graves musste die Verbände mit irgendeiner Salbe oder Tinktur getränkt haben. Obwohl Mogens sorgfältig darauf achtete, dass seine Lippen nicht mit dem groben Verbandstoff in Berührung kamen, löste der Geschmack ein so heftiges Gefühl von Übelkeit in seinem Magen aus, dass er sich um ein Haar übergeben hätte. Dennoch arbeitete er verbissen weiter und lockerte nach und nach einen Streifen nach dem anderen, bis sich der Verband schließlich vollends löste und mit einem sonderbar schweren und nassen Laut zu Boden fiel.
Was darunter zum Vorschein kam, war so verblüffend, dass Mogens für einen Moment sowohl den tobenden Schmerz als auch die kaum minder quälende Übelkeit vergaß.
Er hatte erwartet, seine Finger aufs Schrecklichste verstümmelt zu erblicken, denn seine Hände fühlten sich nicht nur an, als wären sie gehäutet worden, sondern darüber hinaus auch noch, als wäre jeder einzelne Knochen darin gebrochen.
Aber sie waren vollkommen unversehrt. Mogens gewahrte nicht den winzigsten Kratzer; allenfalls zwei oder drei Stellen, an denen die Haut leicht gerötet war. Dazu kam noch etwas, das ihm erst nach einigen weiteren Augenblicken richtig bewusst wurde: Jetzt, da er den Verband entfernt hatte, ließen die Schmerzen rasch nach. Was zurückblieb, war ein allenfalls noch unangenehmes Brennen und Kribbeln.
Hastig und nun im Besitz einer funktionstüchtigen Hand, entfernte er auch den Verband von seiner Rechten und wurde mit demselben, fast schon unheimlichen Anblick belohnt. Auch seine rechte Hand war nahezu unversehrt bis auf ein paar Schrammen, die er sich wahrscheinlich zugezogen hatte, als er auf der Trümmerhalde gestürzt war, und auch die Schmerzen in dieser Hand ließen sofort nach, nachdem er den Verband entfernt hatte.
Noch etwas fiel ihm auf: Seine Haut war von einer dünnen, klebrigen Schicht bedeckt, die einen leicht scharfen, aber nicht einmal wirklich unangenehmen Geruch verströmte. Was zum Teufel hatte ihm Graves da auf die Finger geschmiert? Und vor allem: warum?
Tom war vorausschauend genug gewesen, ihm nicht nur ein kräftiges Frühstück zu bringen, sondern auch eine Schale mit frischem Wasser. Nachdem er die schleimige Schicht vollends abgewaschen und seine Hände schließlich schon fast übertrieben sorgsam trocken gerieben hatte, wurde sein Verdacht zur Gewissheit: Die Schmerzen waren wie weggeblasen. Nicht irgendeine Verletzung, die er sich im Laufe der vergangenen Nacht zugezogen hatte, war für die Schmerzen verantwortlich gewesen, sondern die Salbe, die Graves auf seine Verbände gegeben hatte.
Mogens wurde für einen Moment zornig, beruhigte sich aber dann auch fast ebenso schnell wieder.
Graves mochte seine Gründe gehabt haben. Aber Mogens nahm sich fest vor, ihn zu fragen und sich diesmal auch ganz gewiss nicht mit irgendwelchen Halbwahrheiten oder Ausflüchten abspeisen zu lassen. Im Moment jedoch hatte er Wichtigeres zu tun.
Nachdem er sich angezogen hatte – die Kleider mussten Tom gehören, denn sie passten weder richtig, noch waren sie wirklich sauber –, machte er sich wie ein hungriger Wolf über das Essen her. Tom hatte seinen Appetit großzügig eingeschätzt; dennoch hatte er nicht das Gefühl, wirklich satt zu sein, obwohl er alles bis auf den letzten Krümel verzehrte.
Wie spät mochte es sein? Mogens durchwühlte die beklagenswerten Überreste seiner Kleider nach seiner Taschenuhr, ohne jedoch fündig zu werden, und vor dem einzigen, noch dazu nicht besonders großen Fenster waren die Läden vorgelegt, sodass im Innern der Hütte ein schummeriges Halbdunkel herrschte. Das wenige Licht jedoch, das durch die schmalen Ritzen der altersschwachen Läden drang, war so klar, dass es nur das eines noch recht jungen Tages sein konnte. Also hatte er noch nicht einmal sehr lange geschlafen, wenn man seinen Zustand und den immensen
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