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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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bellte. Und dennoch traf die Erschütterung zugleich etwas in seinem Innern mit solch verheerender Wucht, dass er sich innerlich krümmte und sich in seiner Menschlichkeit selbst verletzt fühlte. Vielleicht war es nicht einmal wirklich ein Erdbeben gewesen, dachte Mogens beunruhigt. Vielleicht hatte die Wirklichkeit gebebt, und die Erschütterung, die er gespürt hatte, war nicht einmal real gewesen; etwas, das seine Sinne nur als solche deuteten, weil ihnen die Worte fehlten, um zu beschreiben, was wirklich geschehen war.
    Hinter ihm klappte eine Tür. Mogens fuhr so erschrocken herum, dass sein Herz schon wieder wie wild zu hämmern begann. Seine Hände zitterten. Im allerersten Moment sah er nur Schatten, dann glomm ein winziges rotes Auge auf und blinzelte ihm zu.
    »Du hast es also auch gespürt.«
    »Selbstverständlich.« Graves schlenderte gemächlich heran, schnippte den heruntergebrannten Stummel seiner Zigarette davon und zündete sich eine neue an, noch bevor er ihn erreicht hatte. »Und nicht nur ich.«
    Er machte eine Kopfbewegung zur anderen Seite des Platzes. In Toms Hütte war Licht angegangen, und nur wenige Augenblicke später fiel ein dreieckiger Lichtschein aus dem Haus. Ein sonderbares Lächeln huschte für einen kurzen Moment über sein Gesicht, dann trat er einen halben Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken, um in den Himmel hinaufzusehen.
    Mogens folgte seinem Blick. Der Himmel war so klar, dass jeder einzelne Stern wie ein Nadelstich in einer tiefschwarzen Pappe funkelte, hinter der eine extrem starke Lichtquelle brannte, und für einen Moment, bevor er die vertrauten Sternbilder und Konstellationen erkannte, schien sich das gesamte Firmament über ihm zu drehen, als führten die Sterne einen schwerelosen Tanz auf, um sich zu einem geheimnisvollen und bedeutenden Muster neu zu ordnen.
    Mogens blinzelte, und die Sterne waren wieder normal. Vielleicht hatte er sich nur zu hastig bewegt. Sein Kreislauf spielte noch immer verrückt, und wenn er ehrlich war, dann galt das nicht nur für seinen Kreislauf. Er war in der vergangenen Nacht schwer verletzt worden, und er war kein Mann, der solcherlei gewohnt war. Allein der Blutverlust, den er erlitten hatte, hätte ihn normalerweise für zwei oder drei Tage ans Bett gefesselt, von den tiefen Schnittwunden, die ihm die Krallen des Ghouls zugefügt hatten, ganz zu schweigen. Wenn man all das bedachte, fühlte sich Mogens schon beinahe unnatürlich gut und tatendurstig, aber er machte sich nichts vor. In seinem Zustand dort hinunterzugehen und sich möglicherweise auf einen Kampf mit den Ghoulen einzulassen – was hatte Miss Preussler gesagt? Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte? – war Irrsinn.
    Tom kam heran. Seine Schritte erzeugten sonderbare, saugende Laute in dem aufgeweichten Boden. Geräusche, die auf unmöglich in Worte zu fassende Weise ebenso falsch und lebendig wirkten wie das vermeintliche Erdbeben gerade. Ohne ein Wort nickte er Mogens zu und nahm dann neben Graves Aufstellung, um auf die gleiche Weise in den Himmel hinaufzusehen wie er.
    Nach einer Weile sagte er leise: »Es beginnt, nicht wahr?«
    Graves nickte. »Ja«, sagte er. »Es beginnt.«
    Die Worte jagten Mogens einen eisigen Schauer über den Rücken. Graves’ Stimme war kaum mehr als ein Flüstern gewesen, und doch ließ ihr Klang Mogens abermals erschauern. Graves hatte … glücklich geklungen. Auf eine Art glücklich, die Mogens Angst machte.
    Auch er sah noch einmal konzentriert in dieselbe Richtung wie Tom und Graves. Der klare Sternenhimmel bot einen Anblick von majestätischer Pracht, aber er konnte dennoch nichts Außergewöhnliches dort oben entdecken.
    »Wovon redet ihr?«, fragte er. Irgendwie hatte er das Gefühl, etwas Falsches zu tun. Dieser besondere Augenblick war etwas so Kostbares, dass der bloße Klang seiner Stimme ein Sakrileg darstellte.
    Mogens rief sich in Gedanken zur Ordnung. Was war nur mit ihm los? Anscheinend begann ihn Graves’ pseudo-philosophisches Gerede schon anzustecken.
    »Hast du dich jemals gefragt, was dort oben ist?«, fragte Graves, noch immer in diesem sonderbaren Ton, der Mogens jetzt allerdings viel mehr ehrfürchtig erschien als glücklich, und ohne den Blick von dem loszureißen, was immer er dort oben auch sehen mochte.
    »Sterne«, antwortete Mogens automatisch. »Unendlich viele Sterne.«
    »Sicher«, antwortete Graves lächelnd. »Aber zwischen den Sternen. Dahinter, Mogens.«
    »Hinter den Sternen?«,

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