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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht ganz sicher, bis vor kurzer Zeit. Aber nun, wo wir das hier gefunden haben … ja. Ich bin sicher.«
    Er fuhr mit einer so plötzlichen, kraftvollen Bewegung herum, dass Mogens unwillkürlich erschrocken zusammenzuckte, hob aber auch zugleich beruhigend die Hand und winkte ihm, näher zu kommen. »Hier, sieh!«
    Mogens gehorchte nur zögernd und mit einem ziemlich unguten Gefühl. Graves gestikulierte ihm jedoch immer heftiger zu, während er zugleich mit der anderen Hand aufgeregt auf das Mauerwerk vor sich deutete. »Sieh hier! Und hier!« Sein Zeigefinger stieß bei jedem Wort wie ein Dolch auf das Mauerwerk hinab, markierte Linien und Punkte, wo sich die in den Stein gekratzten Rillen trafen oder überschnitten. »Siehst du es denn nicht?«
    Mogens sah rein gar nichts. Für ihn waren und blieben die Linien, die für Graves eine so gewaltige Bedeutung zu haben schienen, nichts weiter als sinnloses Gekrakel; und vielleicht nicht einmal das. Er schüttelte wortlos den Kopf.
    »Weißt du was, Mogens?«, fragte Graves. »Du hattest Recht. Du bist ein Ignorant.«
    »Ich bin vor allem Archäologe, Jonathan«, antwortete Mogens, so ruhig er konnte. »Aber wenn du meine ganz private Meinung hören willst, dann bedeutet das hier gar nichts.«
    Seltsamerweise schien seine Antwort Graves eher zu amüsieren, statt ihn wütend zu machen, womit er gerechnet hatte. »Wenn das so ist«, antwortete er, »dann ist es vielleicht jetzt angezeigt, dir etwas zu zeigen, was dich wirklich überzeugt. Nebenbei auch an der Zeit, dass du etwas für das exorbitante Gehalt tust, das ich dir bezahle.«
    »Und was sollte das sein?«
    Graves grinste plötzlich wieder breit. »Hast du etwa schon vergessen, warum wir hierher gekommen sind?«, fragte er. »Ich denke, deine liebe Freundin Miss Preussler brennt noch immer darauf, die Walküre zu spielen und die armen Gefangenen zu befreien. Meine Pläne sehen indes ein wenig anders aus. Keine Sorge – ich werde deine Hilfe nicht mehr lange benötigen. Und ich werde auch nicht von dir verlangen, dass du dich in Gefahr begibst, weder um deinen kostbaren Leib noch deine unsterbliche Seele. Ich erwarte, dass du mir deine Fähigkeiten vielleicht noch ein- oder zweimal zur Verfügung stellst. Was du danach tust, ist deine Sache.« Er drehte sich mit einem demonstrativen Ruck um und ging zur Tür. Doch bevor er den Raum verließ, fügte er noch hinzu: »Ich für meinen Teil habe eine Verabredung mit den Göttern.«

Wenn es überhaupt etwas gab, womit Mogens seine Situation vergleichen konnte, so kam er sich vor wie eine Ratte in einem Labyrinth, das zur Versuchsanordnung eines wahnsinnig gewordenen Forschers gehörte. Er hatte längst aufgehört, mitzuzählen, wie oft sie in Sackgassen gelandet waren, wie viele Male sie vor jäh aufklaffenden Abgründen gestanden, wie viele Mauern sich plötzlich vor ihnen aufgetürmt hatten und wie oft sie den Weg zurückgegangen waren, den sie sich zuvor mühsam gesucht hatten. Er war nicht einmal sicher, ob sie ihrem Ziel tatsächlich näher gekommen waren oder sich nicht sogar davon entfernten.
    Es war ihm auch gleich. Der – erstaunlicherweise immer noch halbwegs klar gebliebene – wissenschaftliche Teil seines Verstandes hatte es längst aufgegeben, irgendein System in diesem unterirdischen Labyrinth erkennen zu wollen. Mogens wäre nicht einmal mehr überrascht gewesen festzustellen, dass sich ihre Umgebung veränderte, während sie sie passierten. Er kam sich vor, als irrten sie durch die versteinerten Arterien und Venen einer gigantischen unterirdischen Kreatur, die seit Jahrmillionen hier unten schlief.
    Zumindest sein Zeitgefühl hatte er sich erhalten – wenn auch mit Hilfe seiner Taschenuhr, die er in mehr oder weniger regelmäßigen Abstanden zückte, um einen Blick auf die Zeiger zu werfen. Es war jetzt nach zwei in der Nacht, was bedeutete, dass mehr als eine Stunde vergangen war, seit sie das Tor in der Tempelkammer durchschritten hatten. Mogens’ subjektivem Zeitempfinden nach schien mindestens die zehnfache Zeit verstrichen zu sein und dem Grad seiner Erschöpfung nach noch sehr viel mehr. Einer der Schnitte unter seiner Achsel war wieder aufgebrochen und blutete, zwar nicht besonders stark, aber doch beständig – Hemd und Hose auf seiner rechten Seite waren bereits nass und schwer von seinem eigenen Blut, und wenn er länger als einige Sekunden auf der Stelle verharrte, hinterließ er einen schmierigen roten Abdruck auf dem

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