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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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größer als von der anderen Seite und von klarer, rechteckiger Form, wie überhaupt alles hier drinnen der klaren Geometrie und strengen Linienführung entsprach, wie er sie aus den Gräbern und Tempelruinen des alten Ägypten kannte. Der Schritt durch die Tür war nicht nur wie ein Schritt in eine andere Welt gewesen, sondern auch in eine andere Zeit. Mogens war vollkommen fassungslos.
    »Erstaunlich, nicht wahr?«, fragte Graves. »Ich denke, wir kommen unserem Ziel allmählich näher.«
    »Erstaunlich«, fand Mogens, war nicht unbedingt das richtige Wort. Was er sah, das war vielmehr verwirrend und beunruhigend zugleich. Der Raum war deutlich größer, als er erwartet hätte, und zwei der vier Wände, die in seltsam falschem Winkel aufeinander stießen, waren prachtvoll auf die Art der alten Ägypter bemalt und über und über mit Hieroglyphen in leuchtenden Farben bedeckt.
    »Ist das nicht fantastisch?«, fragte Graves. »Ich hoffe doch, ich habe damit das eine oder andere gutmachen können. Ich meine: Die allermeisten deiner Kollegen hätten ihren rechten Arm dafür gegeben, das hier auch nur ein einziges Mal sehen zu können.«
    Mogens warf einen flüchtigen Blick auf Graves’ in schwarzes Leder gehüllte Hände und schwieg. Er war noch immer vollkommen fassungslos, aber da war auch noch mehr. Etwas stimmte hier nicht, aber es war ihm nicht möglich, dieses Gefühl genauer in Worte zu kleiden. Er trat einen Schritt an Graves vorbei und blieb wieder stehen, um sich noch einmalaufmerksam umzusehen. Das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte, wurde stärker, aber er konnte es noch immer nicht richtig begründen. Der Raum maß vielleicht zwanzig Schritte im Geviert und wirkte auf den allerersten Blick quadratisch; auch wenn es schwer war, dies genau abzuschätzen. Die Decke war so niedrig, dass selbst Graves nicht mehr wirklich aufrecht stehen konnte, und Mogens fragte sich automatisch, wie sich die viel größeren Ghoule hier drinnen bewegen mochten. Als er den Blick hob und nach oben sah, hatte er die Antwort: Auch die Decke war mit sonderbaren Bildern und Schriftzeichen bemalt, die aber mittlerweile verschmutzt und verwischt waren und an zahllosen Stellen abzublättern begannen. Da hatte sich mehr als ein Ghoul den Schädel angestoßen.
    Das hintere Drittel des Raumes war in Schatten getaucht, wo das Licht ihrer Lampen es nicht mehr erreichte, doch Mogens glaubte schemenhaft die Umrisse breiter, steinerner Stufen zu erkennen, die hinunter in die Tiefe führten. Der leichte Meeresgeruch, der sie bisher so stetig und undurchdringlich begleitet hatte, dass sie ihn kaum noch bewusst zur Kenntnis nahmen, war hier viel deutlicher, und es schien auch spürbar kühler zu sein. Nur ein kleines Stück neben ihm befand sich ein großer, rechteckiger Abdruck auf dem Boden, wo vielleicht einmal ein Altar oder irgendein anderer, schwerer Gegenstand gestanden hatte.
    »Nun, Mogens?«, fragte Graves in leicht quengeligem Ton, ganz offensichtlich enttäuscht, dass Mogens seinen Fund nicht in angemessener Weise zu würdigen schien, »was sagst du?«
    Mogens sagte auch weiter nichts. Stattdessen trat er dichter an die Wand heran und ließ seinen Blick aufmerksam über die unheimlichen Malereien und Schriftzeichen gleiten. Und dann begriff er es: Nichts von alledem hier war altägyptisch. Es sah so aus , aber es war es nicht. Die Bildersprache war nicht die der alten Pharaonen, und die Hieroglyphen waren keine Hieroglyphen. Alles, was er sah, machte den Eindruck, als hätte jemand mit sehr großer Kunstfertigkeit und noch größerer Mühe – dafür aber umso weniger Sachverstand – versucht, einen Tempel aus der Zeit der Pharaonen nachzubilden.
    »Was steht dort?«, fragte Graves aufgeregt. »Übersetz es, Mogens!«
    »Ich fürchte, das kann ich nicht«, antwortete Mogens kopfschüttelnd.
    »Was soll das heißen – du kannst es nicht?«, fauchte Graves. »Wozu zum Teufel habe ich dich denn mitgenommen?«
    »Um die alten Schriftzeichen zu übersetzen«, antwortete Mogens ruhig. Er schüttelte den Kopf. »Aber das hier sind keine Hieroglyphen. Sie sehen nur so aus.«
    Graves wurde wütend. »Was soll der Unsinn?«, schnappte er. Allmählich begann er mit beiden Händen in Richtung der Wand zu zirkulieren. »Das sind doch ganz eindeutig …«
    »… Symbole einer Bildersprache, die stark an ägyptische Hieroglyphenschrift erinnert«, unterbrach ihn Mogens leise, aber auch in so entschiedenem Ton,

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