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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sich in den nächsten Tagen etwas eingehender über Tom zu erkundigen.
    Der Weg wurde schlechter, kaum dass sie die Friedhofsmauer hinter sich gelassen hatten, und verwandelte sich nach einer weiteren halben Meile endgültig in einen besseren Trampelpfad, der Mogens fast schlimmer vorkam als der steinige Weg, den sie über den Berg genommen hatten. Mogens warf Tom einen schrägen Blick zu, den dieser aber geflissentlich ignorierte.
    Schließlich verschwand die Straße ganz. Vor ihnen lag nur noch eine Mauer scheinbar undurchdringlichen Gestrüpps, auf die Tom aber unbeirrt zuhielt, ohne auch nur das Tempo zu drosseln.
    »Ähm … Tom«, begann Mogens.
    Tom lächelte, reagierte aber ansonsten nicht, und er nahm auch das Tempo nicht zurück. Der Ford schoss auf das Gebüsch zu, und Mogens klammerte sich instinktiv an seinem Sitz fest und wartete auf das Geräusch von splitterndem Holz oder auch zerbrechendem Glas.
    Stattdessen fegte der wuchtige Kühlergrill des Ford nur ein paar dünne Äste zur Seite, und vor ihnen lag eine lang gestreckte, asymmetrische Freifläche, auf der sich eine Hand voll kleiner Blockhütten um einen zentralen Platz drängte, in dessen Zentrum sich ein niedriges weißes Zelt erhob. Ein kleines Stück abseits stapelten sich Balken, gehobelte Bretter und andere Baumaterialien, und jenseits der Blockhütten entdeckte Mogens gleich drei weitere Automobile; darunter auch einen Lastwagen mit einer offenen Pritsche, auf der sich etliche längliche Holzkisten stapelten. Das mussten wohl die »Särge« sein, von denen Tom gesprochen hatte. Es war kein einziger Mensch zu erblicken.
    Während Tom den Ford geschickt um die Gebäude herumchauffierte und neben den anderen Fahrzeugen abstellte, wandte sich Mogens noch einmal im Sitz um und schaute zurück. Die Lücke im Unterholz hatte sich hinter ihnen wieder geschlossen. Der Weg war nicht mehr zu sehen. Was hatte Tom gesagt? Doktor Graves wollte keine Fremden im Lager.
    »Wir sind da«, sagte Tom überflüssigerweise und stieg aus. Während Mogens einen Moment lang damit beschäftigt war, den ihm unvertrauten Öffnungsmechanismus der Tür zu ergründen, eilte Tom bereits um den Wagen herum und öffnete die Tür von außen. Mogens lächelte verlegen, aber der Junge war diplomatisch genug, kein Wort über seine vermeintliche Unbeholfenheit zu verlieren, sondern trat nur zwei Schritte zurück und machte eine wedelnde Handbewegung zu der am weitesten entfernten Blockhütte.
    »Dort hinten ist Ihre Unterkunft«, sagte er. »Gehen Sie ruhig schon hin. Ich bring Ihnen Ihr Gepäck.«
    Mogens dachte mit einem leisen Gefühl von schlechtem Gewissen an die beiden prall gefüllten, schweren Koffer im Gepäckraum des Ford, aber dann wandte er sich dennoch mit einem stummen Kopfnicken um und steuerte das bezeichnete Gebäude an. Obwohl die Straße staubtrocken gewesen war, war der Boden, über den er nun ging, so morastig, dass seine Schuhsohlen darin einsanken und seine Schritte kleine, schmatzende Laute verursachten, und er schauderte leicht, als er aus dem Windschatten des Wagens heraustrat und ihn ein eisiger Luftzug streifte. Und war da nicht ein sachtes Zittern des Bodens unter seinen Füßen, so als bewege sich tief im Leib der Erde etwas Großes, Uraltes, das kurz davor war, aus einem äonenlangen Schlaf zu erwachen …?
    Mogens schüttelte den Kopf, lachte über seine eigenen, närrischen Gedanken und ging schnell weiter. Seine Schritte verursachten noch immer jene schmatzenden Laute, die ihn aber jetzt nicht mehr erschreckten, sondern ihn mit einem Gefühl deutlichen Ärgers an seine fast neuen Lederschuhe denken ließen, die er sich nun möglicherweise ruinierte.
    Seine Laune sank noch weiter, als er sich der Blockhütte näherte, die Tom ihm gewiesen hatte. Sie war winzig, allerhöchstens fünf oder sechs Schritte im Geviert und hatte – zumindest auf den beiden Seiten, die Mogens einsehen konnte – nur ein einziges schmales Fenster, dem ein schwerer Laden vorgelegt war. Auch die Tür machte einen äußerst massiven Eindruck und hatte – ebenso wie der Fensterladen – zwei fingerbreite, senkrechte Schlitze, ungefähr in Augenhöhe, die aussahen wie Schießscharten. Zusammen mit den dicken, sorgsam aufeinander gefügten Balken, dem wuchtigen Dach und der massiven Tür drängte sich Mogens unwillkürlich der Vergleich mit einer kleinen Festung auf. Diese Hütte – zusammen mit den anderen – musste älter sein, als er bisher angenommen hatte.

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