Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Aber vielleicht hatte sich das Boot ja auch einfach nur in die Strömung gedreht. Er wäre nicht einmal übermäßig überrascht gewesen, hätte sich die Barke in diesem Moment von sich aus in Bewegung gesetzt, aber sie erzitterte nur noch einmal sacht und kam dann endgültig zur Ruhe, und Mogens rammte seine Stange ins Wasser und sah noch einmal auf das Zifferblatt seiner Uhr. Graves’ Frist war abgelaufen. Wenn sie jetzt aufbrachen, gab es nichts, was er sich hätte vorwerfen können. Graves selbst hätte nicht anders gehandelt. Ganz im Gegenteil – Mogens war nicht einmal sicher, ob er tatsächlich bis zum Ablauf der vereinbarten Frist gewartet hätte, und mit jeder Sekunde, die er weiter verstreichen ließ, setzte er sein Leben und das der beiden Frauen mehr aufs Spiel.
    »Was hat … Thomas mit dem Dynamit vor?«, fragte Miss Preussler stockend.
    »Etwas sehr Dummes«, antwortete Mogens. »Und ich fürchte, es ist meine Schuld.«
    »Wieso?«
    »Ich hätte es wissen müssen«, antwortete er halblaut. »Spätestens, als ich diesen gewaltigen Rucksack gesehen habe.«
    »Das haben wir alle«, antwortete Miss Preussler. »Und wir alle haben uns gefragt, was er wohl darin trägt – ich habe ja sogar noch meine Scherze darüber gemacht. Aber niemand hat ihn gefragt. Ich auch nicht.«
    »Sie wussten ja auch nicht, dass Toms Eltern von diesen Ungeheuern getötet worden sind«, antwortete Mogens bitter. »Ich nehme nicht an, dass er es Ihnen erzählt hat?« Er drehte sich halb zu ihr herum und fuhr fort: »Sie haben seine Mutter entführt und seinen Vater praktisch vor seinen Augen umgebracht. Der Junge hat noch eine Rechnung mit diesen Biestern offen, Miss Preussler.«
    »Und jetzt glauben Sie, er will sich rächen«, vermutete sie und beantwortete ihre eigene Frage gleich mit einem Nicken.
    »Ich wüsste nicht, wozu er sonst einen ganzen Rucksack voller Sprengstoff bräuchte«, sagte Mogens. Er sah zur Treppe hin. Das tanzende Licht ihrer Scheinwerfer gaukelte ihm eine Bewegung vor, die es nicht gab. Keine Spur von Graves. Mogens dachte an die Prozession grauenerregender Missgeburten zurück, die an ihrem Versteck vorbeigezogen war, und seine Hoffnung, Tom oder auch nur Graves noch einmal lebendwiederzusehen, sank noch weiter. Er sah auf die Uhr. Sie waren gute drei Minuten über die Zeit. Er konnte nicht länger warten. Er hatte nicht einmal das Recht dazu. Er spielte nicht nur mit seinem Leben, sondern auch mit dem der beiden Frauen.
    Seine Hand schloss sich fester um die Stange, doch statt das Boot damit von der Stelle zu bewegen, ließ er nur den Deckel seiner Taschenuhr mit einem scharfen Knall zuschnappen und steckte sie ein.
    »Sie hätten es sich niemals verziehen«, sagte Miss Preussler leise.
    »Was?«
    »Ihn zurückgelassen zu haben«, antwortete sie. »Es ist richtig zu warten.« Und als hätte sie seine Gedanken gelesen, fügte sie mit einem schmalen Lächeln noch hinzu: »Gerade weil er es umgekehrt wahrscheinlich nicht getan hätte.«
    »Wir können trotzdem nicht mehr lange warten«, antwortete er. »Noch ein paar Minuten.«
    Miss Preussler antwortete nicht mehr, aber ihr Blick wurde für einen Moment weich, und das war ihm ein fast größerer Trost als alles, was sie hätte sagen können.
    Er wandte sich wieder nach vorne und richtete den Scheinwerfer direkt auf das Wasser. Unter seiner Oberfläche bewegte sich etwas, aber er konnte nicht wirklich erkennen, was. Neugierig und beunruhigt zugleich beugte er sich vor und lenkte den Lichtstrahl unmittelbar neben dem Boot auf die Flut. Es waren die Algen – oder das, was er bisher dafür gehalten hatte, auch wenn ihn der Anblick jetzt mehr an ein Gespinst feiner Haare erinnerte, das sich, einem eigenen, anderen Takt als dem der Strömung gehorchend, träge im Wasser bewegte. Mogens ließ sich in die Knie sinken und streckte die Hand aus, um das sonderbare Gespinst zu berühren, aber irgendetwas warnte ihn, es zu tun. Vielleicht war es die sonderbare Bewegung, die ihm jetzt immer deutlicher auffiel, auch wenn daran nichts wirklich Bedrohliches zu sein schien. Dennoch war es eine Bewegung, die nicht hätte sein dürfen.
    Ohne die Finger ins Wasser getaucht zu haben, richtete er sich wieder auf und wollte gerade nach seiner Laterne greifen, um auch die Ufer des Kanals einer etwas genaueren Inspektion zu unterziehen, als er ein Geräusch hörte.
    Abrupt fuhr er herum und richtete den Strahl seiner

Weitere Kostenlose Bücher