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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht genau gewusst, wonach er zu suchen hatte. Mogens beschleunigte seine Schritte noch mehr, schob mit der linken Hand die Gittertür auf und beugte instinktiv die Schultern, um sich nicht den Kopf an dem niedrigen Türsturz anzuschlagen, der für die kleinwüchsigeren Menschen eines früheren Jahrhunderts gebaut worden war. Der Raum dahinter war leer. Die Petroleumlampe, deren Schein ihn hergelockt hatte, stand auf dem Fußboden, und von irgendwoher drang ein gedämpftes, scharrendes Geräusch an sein Ohr.
    »Jonathan?«
    Eine endlose Sekunde lang bekam er keine Antwort, dann rief eine gedämpfte, helle Stimme: »Mogens?«
    Janice! Mogens atmete hörbar erleichtert auf, war aber zugleich auch schon wieder alarmiert. Er konnte Janice hören, aber wo war sie? Der Raum maß nicht einmal fünf Schritte im Quadrat und war vollkommen leer! Außer dem Eingang gab es noch eine zweite, vergitterte Tür auf der anderen Seite, hinter der eine schmale Steintreppe steil in die Tiefe führte. Solange sich Mogens zurückerinnern konnte, war sie verschlossen und mit einem uralten und ebenso rostigen wie schweren Vorhängeschloss gesichert gewesen. Jetzt stand sie eine Handbreit auf, und das Vorhängeschloss lag zerbrochen davor auf dem Boden.
    »Janice«, rief er. »Bist du da unten?«
    »Mogens?« Janices Stimme drang so hohl und verzerrt zu ihm herauf, als spräche sie vom Grund eines Brunnenschachtes. »Mogens, komm hierher! Du musst dir das ansehen! Das ist fantastisch!«
    Mogens trat zögernd auf die offen stehende Tür zu. Jetzt, wo er näher kam, sah er, dass auch von unten ein gelblicher, wenn auch weit blasserer und flackernder Lichtschein heraufdrang. Der Gedanke, dass Janice dort unten war, beunruhigte ihn mehr, als er sich selbst erklären konnte. Etwas … stimmte nicht. Er konnte es erklären, aber diese Erklärung war zu grotesk, als dass er dem Gedanken auch nur erlaubt hätte, Gestalt anzunehmen, und als sein Blick im Vorbeigehen das zerbrochene Schloss streifte, wuchs seine Beunruhigung sogar noch. Es war nicht einfach nur zerbrochen, sondern regelrecht zerfetzt. Die schwere eiserne Lasche, mit der es an der Tür befestigt gewesen war, war aufgebogen wie das dünne Blech einer Konservendose. Nein, verbesserte er sich selbst, er war nicht besorgt bei dem Gedanken, dass Janice dort unten war – die Vorstellung versetzte ihn in Panik.
    Er zog die Tür weiter auf, machte aber dann noch einmal kehrt, um die Lampe zu holen. Die Schatten gerieten in unruhige, huschende Bewegung, als er sie hochhob und sich umdrehte, und für einen unendlich kurzen Moment schien danoch etwas anderes zu sein, als versuchten körperlose Dinge aus jenem schmalen Grenzbereich zwischen der Welt des Lichts und der Dunkelheit in die Schatten zu fliehen. Ein sonderbar fader Geschmack begann sich auf seiner Zunge auszubreiten. Er hätte nicht hierher kommen sollen. Diese ganze verrückte Idee ging mittlerweile weit über einen Studentenulk hinaus. Mogens war trotz allem noch nicht bereit, an das Wirken übernatürlicher Kräfte zu glauben oder gar daran, dass er gerade draußen tatsächlich einer Kreatur begegnet sein sollte, die sich nur hinter der Maske des scheinbar Menschlichen verbarg, in Wahrheit aber etwas gänzlich anderes war.
    Dennoch wurde ihm mit jeder Sekunde klarer, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich bewegten. Letzten Endes spielte es keine Rolle, ob er von einem Werwolf aufgefressen wurde oder den Rest seines Lebens als geistig zerrüttetes Wrack verbrachte. Er würde Janice holen und dann machen, dass er hier wegkam, so schnell er nur konnte.
    Fast im Laufschritt stürmte er die Treppe hinab. Nach weniger als einem Dutzend Stufen fand er sich in einem niedrigen Kellerraum mit gewölbter Decke wieder, in dessen Mitte sich ein gewaltiger steinerner Sarkophag befand. Janice stand auf der anderen Seite des dunkelgrauen Steinsarges und hielt eine halb heruntergebrannte Kerze in der rechten Hand. Die andere hatte sie halb erhoben, um ihre Augen vor dem unerwartet grellen Licht der Petroleumlampe zu schützen.
    »Mogens, sieh dir das an!«, sagte sie aufgeregt. »Komm her!«
    Mogens rührte sich nicht von der Stelle, hob aber die Lampe höher, um besser sehen zu können. Was er gerade oben schon einmal erlebt hatte, schien sich zu wiederholen: Für den Bruchteil einer Sekunde war es ihm, als flüchteten unheimliche körperlose Dinge vor dem Licht, und ein eisiger Hauch schien seine Seele zu streifen. Als hätte er etwas von dort

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