Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
selbst hören, dass das Beben in seiner Stimme nicht nur Überraschung war oder auf die Kälte und Anstrengung zurückzuführen. Er bekam so wenig eine Antwort wie die beiden Male zuvor, aber für einen winzigen Moment glaubte er wieder jene sonderbar schlurfenden Schritte zu hören, die sich nun schnell entfernten. Einen Atemzug später war er allein.
    Mogens’ Herz klopfte jetzt so stark, dass er seinen eigenen Puls bis in die Fingerspitzen fühlen konnte. Es kostete ihn alle Überwindung, zu der er fähig war weiterzugehen und sich der Stelle zu nähern, an der er die unheimliche Gestalt gesehen hatte. Eines war ihm mittlerweile klar geworden: Ihr kleiner Racheplan war ganz und gar keine gute Idee. Nicht, wenn er bedachte, wie sogar er selbst auf die unerwartete Begegnung mit dem verkleideten Graves reagiert hatte. Sie wollten Marcund Ellen einen Denkzettel verpassen, nicht sie zu Tode erschrecken. Sie mussten mit diesem Unsinn aufhören, bevor noch jemand zu Schaden kam!
    Er erreichte die Stelle, an der Graves gestanden hatte, und sah sich aufmerksam um, ohne selbst genau zu wissen, wonach er eigentlich suchte. Die Gestalt – Graves! Er musste aufpassen, was er dachte. Indem er den Schatten nicht als das bezeichnete, was er gewesen war, verlieh er ihm eine Bedrohlichkeit, die ihm nicht zustand! Graves war so spurlos verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Obwohl Mogens mittlerweile fest entschlossen war, es gut sein zu lassen und den kindischen Streich nicht auf die Spitze zu treiben, hatte er immer noch Hemmungen, laut zu rufen. Aber immerhin hatte er eine ziemlich konkrete Vorstellung, in welche Richtung Graves gegangen war. Mogens machte zwei Schritte in dieselbe Richtung, blieb wieder stehen und sah stirnrunzelnd zu Boden.
    Obwohl es nicht geregnet hatte, waren Gras und Erdreich feucht und schwer von der Nässe, die in der Luft lag. Er konnte deutlich die frische Fußspur sehen, die seinen Weg kreuzte. Es war eine sehr seltsame Spur. Mogens ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand aus, um mit den Fingerspitzen über die niedergetretenen Grashalme zu tasten. Er war kein außergewöhnlich talentierter Spurenleser, aber man musste kein direkter Nachfahre von Chingachgook sein, um zu erkennen, dass diese Fährte keine Minute alt war. Das Licht reichte selbst aus dieser geringen Entfernung nicht aus, um Einzelheiten zu erkennen, aber es war auch nicht zu übersehen, dass diese Abdrücke viel zu groß waren, um von normalen menschlichen Füßen hinterlassen worden zu sein, und darüber hinaus viel zu tief. Das Wesen, das diese Spuren verursacht hatte, hatte mindestens drei Zentner gewogen, wenn nicht mehr. Selbst wenn sich Graves – was sich Mogens beim besten Willen nicht vorstellen konnte – die Mühe gemacht hätte, zu seiner Verkleidung noch übergroße Schuhe anzuziehen – warum sollte er anderthalb Zentner Bleigewichte mit sich herumschleppen?
    Inzwischen deutlich mehr alarmiert als verwirrt, richtete sich Mogens wieder auf und versuchte erneut, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Falls überhaupt möglich, war es noch dunkler geworden, sodass er Graves – Graves?  – vermutlich nicht einmal dann gesehen hätte, wäre er in zehn Schritten Entfernung an ihm vorbeigelaufen, aber er kannte immerhin die Richtung, in die er sich entfernt hatte. Der Friedhof lag als fast geometrisches Muster unterschiedlich großer, kubischer Schatten vor ihm, aber es gab ein paar Ausreißer aus diesem System: Nicht weit von ihm entfernt erhob sich ein gedrungener kubischer Schatten, der in einem gleichschenkeligen Dreieck endete, das trotzig zum Himmel wies; das Mausoleum, das Janice, Beth, Graves und er als Treffpunkt ausgemacht hatten. Mogens war überrascht, wie nahe er ihm schon war, setzte sich aber trotzdem sofort und mit schnellen Schritten in Bewegung. Lautlos huschende Schatten und eine noch leiser schleichende Furcht begleiteten ihn, und sein Herz begann im gleichen Maße schneller zu klopfen, in dem er sich dem Mausoleum näherte. Er musste an die unheimliche Spur denken, die er gefunden hatte, und sein Mund wurde trocken. Vielleicht hatten Devlin und seine extrovertierte Freundin ja Recht gehabt, dachte er. Vielleicht gab es Dinge, mit denen man sich besser nicht beschäftigte.
    Als er näher kam, sah er, dass im Innern des Mausoleums Licht brannte; ein blassgelber, sorgsam abgeschirmter Schein, den er selbst aus zehn Schritten Entfernung vermutlich übersehen hätte, hätte er

Weitere Kostenlose Bücher