Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
natürlich als Wiedergutmachung.«
    »Wiedergutmachung? Wofür?«
    »Für das, was ich dir angetan habe«, antwortete Graves. Er schnitt Mogens mit einer herrischen Geste das Wort ab, als dieser widersprechen wollte. »Spare es dir, mir vorzuhalten, dass ich nur mein schlechtes Gewissen beruhigen möchte. Wenn du das glauben willst, soll es mir recht sein. Wenn das hier publik wird – und das wird es, Mogens –, dann schert es niemanden mehr, was du getan hast und was nicht.«
    »Wie kommst du darauf, dass ich Almosen von dir annehmen würde?«, fragte Mogens. Seine Stimme zitterte, aber er konnte den Grund dafür selbst nicht genau benennen.
    »Warum wartest du nicht erst einmal ab, bis ich dir gezeigt habe, worauf wir wirklich gestoßen sind?«, fragte Graves.
    »Worauf …« Mogens brach verwirrt ab. »Aber ich dachte, der Tempel …?«
    »Ja, das dachte ich auch«, sagte Graves. Er stand auf. »Und am Anfang war es auch so. Versteh mich nicht falsch: Der Tempel ist eine Sensation, vielleicht die größte archäologische Sensation dieses Jahrhunderts – zumindest bisher. Und doch ist es nicht alles.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Mogens verwirrt. »Was hast du gefunden?«
    Graves schüttelte den Kopf und grinste plötzlich breit. »O nein, so geht das nicht«, sagte er. »Lass mir die kleine Freude, dich noch ein wenig auf die Folter zu spannen. Darüber hinaus ist es bedeutend einfacher, wenn ich es dir zeige. Komm.«
    Er wandte sich zur Tür, öffnete sie und wedelte ungeduldig mit der Hand, als Mogens zögerte, ihm zu folgen. Das Sonnenlicht verwandelte seine Gestalt in einen schwarzen Schattenriss ohne Tiefe, und erneut spürte Mogens einen raschen, eisigen Schauer, denn der Anblick erinnerte ihn an das Bild, das er aus den Augenwinkeln gesehen zu haben glaubte. Es war so wenig real wie dieses, und es verging ebenso schnell.
    Mogens schüttelte die Erinnerung mit einer fühlbaren Kraftanstrengung ab und verließ hinter Graves die Hütte.

Was Mercer ihm gestern bereits prophezeit hatte, schien sich überraschend schnell zu bewahrheiten: Mogens fühlte sich noch immer nicht besonders wohl dabei, die schmale Leiter hinunterzuklettern, die unter seinem und Graves’ gemeinsamem Gewicht hörbar ächzte, aber es machte ihm schon nicht mehr ganz so viel aus wie am vergangenen Tag. Natürlich lag es daran, dass er seine Nervosität niemals in Graves’ Nähe zugegeben hätte, aber anscheinend gewöhnte er sich tatsächlich an seine neue Umgebung.
    Und dazu kam natürlich seine Neugier.
    Nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, schämte sich Mogens seiner eigenen Gefühle beinahe, aber er kam dennoch nicht umhin zuzugeben, dass es Graves gelungen war, seine Neugier zu wecken. Die Entdeckung dieses unterirdisch gelegenen ägyptischen Tempels – nur wenige Meilen von San Francisco entfernt – war an sich schon sensationell genug. Mit welchem noch größeren Wunder wollte Graves denn noch aufwarten?
    Auf dem Weg nach unten und durch den Gang mit den Wandmalereien und Reliefarbeiten versuchte er mehrmals, Graves wenigstens eine Andeutung zu entlocken, bekam aber stets nur ein geheimnisvolles Lächeln zur Antwort. So sehr sich Mogens in diesem Moment auch darüber ärgerte, konnteer Graves zugleich auch verstehen. Möglicherweise hätte er an dessen Stelle nicht anders reagiert. Aber was konnte Graves entdeckt haben, das das hier noch in den Schatten stellte?
    Mogens fasste sich notgedrungen in Geduld, während er durch den nur schwach erhellten Stollen tappte. Gestern war er von dem Gesehenen viel zu erschlagen gewesen, um auf Einzelheiten zu achten, nun aber musterte er die Malereien und Reliefs, an denen sie vorbeikamen, umso genauer, und ihm fielen doch gewisse Unterschiede zu der ägyptischen Kunst auf, die er kannte. Er war kein Spezialist, was diese Epoche anging, aber er war im Laufe seines Studiums natürlich nicht umhin gekommen, sich auch mit der Kunst und Kultur des alten Ägypten zu beschäftigen. Was er gestern schon gemutmaßt hatte, schien sich nun zu bestätigen: Es gelang ihm nicht, die Bildnisse und Steinmetzarbeiten einer bestimmten Epoche zuzuordnen. Aber das musste nichts bedeuten, wie ihm der Wissenschaftler in ihm erklärte. Schließlich waren sie hier zweifellos in einem ägyptischen Tempel, aber nicht in Ägypten. Das Reich der Pharaonen war vor mehr als zwei Jahrtausenden untergegangen, aber diese Anlage konnte ebenso gut viel älter sein – oder auch viel jünger. Es

Weitere Kostenlose Bücher