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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ich weiß nicht, was es war. Weißt du es?«
    Als ob er diesen Moment je vergessen könnte, und wenn er hundert Jahre alt wurde! Das Bild hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt, eine Narbe in seinem Kopf, die niemals heilen würde, so wenig, wie sie je aufhören würde zu schmerzen: Janice, die von einem Ungeheuer mit lodernden Schultern und Kopf davongeschleift wurde und ebenso verzweifelt wie vergeblich um Hilfe schrie, und den unwiderruflich letzten Blick, den er aus ihren Augen aufgefangen hatte. Es war nicht die Todesangst gewesen, mit der er gerechnet hatte. Vielleicht – sicher – war sie da gewesen, aber was Mogens gesehen hatte, war das verzweifelte Einfordern eines Versprechens, das er ihr nie laut, sehr wohl aber im Stillen für sich gegeben hatte und das er nun nicht mehr einhalten konnte: das Versprechen, immer und unter allen Umständen für sie da zu sein, sie vor jeder Gefahr zu beschützen, und sei es mit seinem eigenen Leben. Er hatte dieses Versprechen nicht eingehalten, und es spielte keine Rolle, warum.
    »Gib mir eine Chance, Mogens«, sagte Graves. »Ich bitte dich.«
    »Dir?« Der beinahe flehende Ton in Graves’ Stimme machte es Mogens unmöglich, all die Verachtung in seine Stimme zu legen, die er für ihn empfand. Nicht einmal einen Bruchteil.
    »Oh, ich verstehe.« Plötzlich war ein höhnischer, böser Ton in seiner Stimme, und seine Augen blitzten. » Du musst niemandem eine zweite Chance geben, nicht wahr? Warum auch? Dir ist wehgetan worden. Du hast einen schrecklichen Verlust erlitten, und vor allem und am schlimmsten: Man hat dir Unrecht getan. Und daraus leitest du jetzt das Recht ab, für den Rest deines Lebens alles Leid dieser Welt für dich reklamieren zu können.« Er beugte sich vor und verzog die Lippen zu einem Ausdruck, den Mogens im ersten Moment für verächtlich hielt, bis ihm sein Irrtum klar wurde.
    »Du hältst mich für ein Ungeheuer, nicht wahr? Du glaubst, du hättest das alleinige Recht auf Schmerz und Leid?« Er schnaubte. »Was bildest du dir eigentlich ein, VanAndt?«
    »Ich?«, ächzte Mogens. Er war vollkommen fassungslos. Er hatte buchstäblich mit allem gerechnet – aber nicht damit, dass Jonathan seinerseits zum Angriff übergehen und ihm Vorwürfe machen würde Das war … absurd.
    »Ja, du!«, schnappte Graves. Seine Hand schloss sich mit einem so heftigen Ruck um den emaillierten Becher, dass das dünne Metall wie das Blech einer leeren Konservendose zusammengequetscht wurde. Kaffee spritzte und lief über seine in schwarzes Leder gehüllten Hände, ohne dass er es auch nur bemerkte. »Was glaubst du denn, wie die letzten zehn Jahre für mich waren? Was glaubst du, warum du hier bist?«
    Mogens sah ihn verstört an.
    »Glaubst du«, fuhr Graves fort, »ich hätte jene Nacht vergessen, Mogens?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Gewiss nicht. Nicht für einen Tag, in all den Jahren. Ich habe Janice ebenso gemocht wie du, Mogens. Du magst sie geliebt haben, aber auch für mich war sie eine gute Freundin. Ich weiß, was du durchgemacht hast, Mogens.«
    »Das bezweifle ich«, flüsterte Mogens.
    »Oh, verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin, verehrter Professor«, sagte Graves böse und wieder ganz förmlich. »Ich wollte keinesfalls an Ihrem Ruhm als größter leidender Märtyrer dieses Kontinents kratzen. Ich weiß, was Sie durchgemacht haben. Aber Sie hatten wenigstens noch Ihren Hass auf mich.«
    »Wie kommst du darauf, dass …«
    »Ich weiß, dass du mich hasst«, unterbrach ihn Graves. »Ich hasse mich selbst für das, was ich getan habe. Aber ich habe es getan, und ich bin kein Mann, der sich für Fehler entschuldigt, die nicht rückgängig zu machen sind. Und ich bleibe dabei: Es hätte nichts geändert. Im Gegenteil. Wir wären beide für verrückt erklärt worden.« Er machte eine wedelnde Geste. »Ich hätte all das hier wahrscheinlich nicht gefunden. Ich wäre nicht hier. Du wärst nicht hier.«
    »Und warum bin ich hier?«, fragte Mogens.
    »Natürlich, weil du gut bist«, versetzte Graves. Er hob die zerbeulte Kaffeetasse an den Mund, setzte dazu an, daraus zu trinken, stutzte dann und blickte eine Sekunde lang verwirrt darauf hinab, ehe er sie mit einem angedeuteten Achselzucken wieder auf den Tisch setzte. »Glaub es, oder lass es bleiben, aber ich halte dich für den besten Wissenschaftler deines Faches. Aus keinem anderen Grund habe ich dich kommen lassen.« Er zögerte einen winzigen Moment. »Und

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