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Anwältin der Engel

Titel: Anwältin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Stanton
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siebenhundert Quadratmetern auf. In den späten Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts hatte ein pensionierter Richter das Herrenhaus vor dem Verfall gerettet und jedes Stockwerk in drei geräumige Apartments umgewandelt. Die Nebengebäude – ehemalige Sklavenunterkünfte und die frühere Küche – waren zu Cottages umgebaut worden.
    Das ausgedehnte weiße Herrenhaus lag unmittelbaram Savannah, umgeben von einem üppigen Garten mit Azaleen, Rosen und Hortensien. Savannah genoss den Ruf, die gespensterreichste Stadt Amerikas zu sein, und auch Melrose sagte man nach, dass es dort eine beträchtliche Anzahl von Geistern gebe. Zum Beispiel Marie-Claire, die verstoßene Geliebte eines Flusspiraten aus dem späten achtzehnten Jahrhundert. Wie Virginia Woolf hatte sie die Taschen ihres Kleides mit Steinen gefüllt und sich im Fluss ertränkt. Ein anderer Geist, der Sohn von Augustine Melrose, dem Erbauer des Gebäudes, war 1805 vom aufgebrachten Mob gelyncht worden, nachdem er die Frau eines benachbarten Pflanzers ermordet hatte.
    Obwohl Bree durchaus Grund hatte, an die Existenz von Geistern kürzlich Verstorbener zu glauben, war sie doch nicht hundertprozentig von der Präsenz der klagenden Marie-Claire oder des brutalen Sprösslings von Augustine Melrose überzeugt. Sie war aber auch nicht gerade erpicht darauf, einem von ihnen zu begegnen. Während sie die lange, halbkreisförmige Auffahrt zur Haustür hochfuhr, beobachtete sie, wie der herbstliche Abendnebel über den Rasen zog und zwischen den Stämmen der Pappeln waberte. Von den Eichen hingen Bartflechten, die wie Seetang in einem Meer über der Erde schwebender Wolken schwammen. Mit einem gewissen Unbehagen betrachtete Bree das gespenstische Ambiente. Dann stieg sie aus dem Wagen und ging die flachen Stufen zu der großen Haustür aus Lindenholz hoch. Die Tür stand offen. Bree trat in die Eingangshalle. Der Fußboden bestand aus breiten, auf Hochglanz polierten Kiefernholzdielen. Es duftete nach Freesien. An der hinteren Wand stand eine Kommode im Sheraton-Stil. Die große Vase darauf war wie immer mit frischen Blumen gefüllt. In der Mitte der Eingangshalle führte eine breite, elegant geschwungene Treppe in den ersten Stock.
    Armand Cianquinos Apartment befand sich auf der rechten Seite des Erdgeschosses. Bree klopfte. Gabe Striker öffnete die Tür und trat zurück, um sie einzulassen.
    »Er ist in der Bibliothek.«
    Bree nickte und folgte Gabriel durchs Wohnzimmer. Die Tür der Bibliothek war aus einem exotischen Holz gefertigt. Rosenholz, nahm Bree an, vielleicht aber auch lackiertes Zedernholz. In das Paneel waren kunstvoll gearbeitete Kugeln geschnitzt, die sich scheinbar drehten, wie sie auch der schmiedeeiserne Zaun aufwies, der das Haus in der Angelus Street umgab.
    Nachdem Gabriel zweimal angeklopft hatte, öffnete er die Tür, und Bree folgte ihm in den Raum, der ihr mitt lerweile vertraut war.
    Die Bibliothek bildete einen auffälligen Gegensatz zur kargen Eleganz, die in Armand Cianquinos Wohnzimmer herrschte. Alle vier Wände waren mit Bücherregalen bedeckt, die bis zur Decke reichten. Die Regale waren mit Büchern aller Art vollgestopft: dicke, dünne, alte, in dunkles, brüchiges Leder gebundene und neue, mit glänzenden Schutzumschlägen. Bree warf einen Blick auf die Regale, in denen die hundertbändige Ausgabe des Corpus Juris Ultimum stand, jene Sammlung himmlischen Fallrechts, die Bree erstmals darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ihr alter Juraprofessor nicht ganz das war, was er zu sein schien. Die Bücher befanden sichnoch immer dort. Offenbar hatte er ihr also eine eigene Ausgabe in die Angelus Street geschickt.
    Die Mitte des Raumes wurde von einem langen Tisch eingenommen, der mit Akten, Büchern, Lampen und einem Bündel aus altem Stoff, unter dem ein langes Schwert hervorlugte, bedeckt war. Mitten auf dem Tisch stand ein Käfig, dessen Tür offen war. Auf der Stange darin hockte ein großer eulenartiger Vogel, der Bree mit seinen schwarzen Knopfaugen missbilligend ansah.
    »Hallo, Archie«, sagte sie.
    »Wird ja Zeit, wird ja Zeit «, erwiderte Archie.
    »Hallo, Bree.« Armand Cianquino kam mit seinem Rollstuhl ins Licht gefahren. Bree kannte ihn, wie ihr schien, schon seit ewigen Zeiten. Sie konnte sich noch an die Besuche erinnern, die er Plessey abgestattet hatte, damals in ihrer Kinderzeit. Und natürlich war er ihr auch noch aus ihrer – viel späteren – Zeit als Jurastudentin in Erinnerung. Er hatte den

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