Anwältin der Engel
sind bestens informiert und wissen, was geschehen ist.«
»Ja, darüber bin ich mir im Klaren!«, erwiderte Bree empört. »Und das ist doch wohl nicht fair, oder? Jemand aufseiten des Beklagten ist ständig dabei, gegen bestimmte ethische Grundprinzipien zu verstoßen. Zumindest nehme ich an, dass es bei himmlischen Angelegenheiten ethische Grundprinzipien gibt. Ich meine, das liegt doch nahe, oder? Deshalb würde ich gern Beschwerde gegen diese Schikanen einlegen.«
»Tun Sie das«, ermutigte sie der Professor. »Petru müsste eigentlich in der Lage sein, die erforderliche Vorladung aufzusetzen. Ich möchte allerdings bezweifeln, dass das etwas nützt.«
»Diese Pendergasts«, sagte Lavinia aus dem Halbdunkel. Bree fuhr zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Lavinia ebenfalls anwesend war. Sie spähte in die Ecke des Raumes. Neben Gabriels großer, silbrig schimmernder Gestalt nahm sie eine kleinere, lavendelfarbene, sich drehende Lichtsäule wahr. »Die haben sich schon, als sienoch am Leben waren, nicht viel um die Gesetze geschert. Jetzt, wo sie tot sind, ist es noch schlimmer.«
»Die Pendergasts sind eine alte Familie dieser Stadt«, sagte Bree. »Ich war mit einem Mädchen aus der Familie auf der Schule. Jennifer.«
»Die diesen nichtsnutzigen Sohn von Mr. Benjamin Skinner geheiratet hat«, sagte Lavinia. »Hmm. Josiah war ihr Urgroßvater. Und der war auch so ein rechter Nichtsnutz. Was damals allerdings nichts Ungewöhnliches war. Damals gab es in Savannah jede Menge Leute, die nichts taugten.« Die Lichtsäule verdichtete sich zu Lavinias irdischer Gestalt, und sie trat vor. »Meine erste Begegnung mit ihm werde ich nie und nimmer vergessen. Ich tollte gerade mit meinen Cousins im Nil herum.«
»Im Nil?«, fragte Bree.
»In jenem Teil des Flusses, der in Schwarzafrika liegt«, erklärte der Professor.
»Er schlug N’tange mit einem Streich seines Schwertes den Kopf ab, die Übrigen von uns legte er in Ketten. Und den Rest meines irdischen Daseins habe ich in der Nähe dieses Hauses verbracht. Auf Melrose.« Sie schwieg eine Weile. »Kurz nach meiner Ankunft hier verkaufte mich Josiah an Melrose’ ältesten Jungen. Danach habe ich die Sonne nicht mehr oft zu sehen bekommen.« Sie schloss die Augen und summte leise vor sich hin, während sie sich sanft hin und her wiegte. »Ist ja gut«, sagte sie zu sich selbst, »ist ja gut.«
Bree wurde es so eng um die Brust, dass sie nach Luft rang.
»Und während ich in der Dunkelheit lebte«, fuhr Lavinia langsam fort, »lernte Josiah Olivia kennen und heiratete sie.«
»Olivia«, wiederholte Bree. Auf dem Friedhof, der das Haus in der Angelus Street umgab, war sie auch schon auf Olivia Pendergasts Grabstein gestoßen.
»Olivia fand keinen Gefallen an Josiah und seiner Bösartigkeit. Deshalb brannte sie mit einem attraktiveren Liebhaber durch. Die Inschrift auf ihrem Grabstein stammt aus dem ersten Buch der Chronik: Wie ein Schatten sind unsre Tage auf Erden, ohne Hoffnung . Ja, Bree, und auch der Rest dieser Stelle passte genau zu der armen Olivia. Sie war in der Tat ein Gast und ein Fremdling auf Erden und ist mit ihrem Liebhaber nicht weit gekommen, weil nämlich Josiah die beiden bald getötet hat.«
»Ist er denn vor Gericht gestellt worden?«, fragte Bree.
»Ja. Und ihr armer Leichnam ebenfalls, weil sie das Kind in ihrem Leib getötet hatte, bevor sie mit ihrem Liebhaber durchbrannte. Josiah wurde gehängt. Und ihre Leiche neben ihm auf dem Mörderfriedhof verscharrt. Und da liegen sie bis heute, die rachsüchtigen Toten.«
»Bloß dass sie jetzt eben nicht mehr in ihren Gräbern liegen«, sagte Bree und sah Gabriel an. »Sie haben mich doch hierhergeholt, weil die Gräber der Pendergasts leer sind.«
»So ist es«, sagte Lavinia.
»Was sagen Sie da?«, warf Cianquino ein und sah Lavinia durchdringend an. »Sind Sie da ganz sicher, Lavinia?«
»Ich wache jeden Tag über diese Gräber«, erwiderte diese. »Und ich merke, wenn etwas in Unordnung ist. Sie sind verschwunden. O ja. Sie sind verschwunden.«
Vor Brees innerem Auge stiegen schreckliche Bilder auf. Sie sah vor sich, wie Lavinia als junges Mädchen angekettet im Frachtraum eines Sklavenschiffes gelegen hatte. Wie sie in die Hände von Burton Melrose geraten war, der seine Sklavinnen derart grausam behandelt hatte, dass in älteren Geschichten Savannahs nicht näher darauf eingegangen wurde. Am liebsten hätte sie Lavinia in die Arme genommen, doch der Ausdruck im Gesicht der
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