Anwältin der Engel
Scharfsinn hinzu.
Brees Gesichtsausdruck war offenbar nicht gerade freundlich. Carrie-Alice wandte den Blick ab und fasste sich an die Stirn. »Entschuldigung, wo habe ich nur meine Manieren gelassen? Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Einen Tee? Eine Cola?«
Was Bree wollte, war Abendessen, ein Glas Weißwein und einige Stunden geruhsamen Schlafs. Und vielleicht noch ein Stündchen im Fitnessstudio. Ihre Rückenmuskeln schmerzten, weil sie in den letzten Tagen zu wenig Bewegung gehabt hatte. »Vielleicht würde uns beiden ein Glas Tee guttun«, erwiderte sie.
An der Wand zur Eingangshalle war eine Gegensprechanlage angebracht. Carrie-Alice drückte auf den Knopf. »Norah? Könnten Sie bitte Tee für zwei Personen bringen? Und Cracker und Käse? Danke.« Sie presste die Hände zusammen, ließ sich auf ihren Sessel sinken und holte tief Luft. Zum ersten Mal, seit Bree sie kannte, ließ sie die Maske fallen. Ihre Augen verloren jenen distanzierten, gleichgültigen Ausdruck. Sie sagte, als lege sie ein Mordgeständnis ab: »Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, nicht alles selbst zu machen, wissen Sie? Und jemanden im Haus zu haben, der nicht zur Familie gehört und meine Sachen anfasst. Bert war genauso. So viel Geld zu haben wie wir, das bringt manche Dinge mit sich … Ich hasse das. Ich hasse es einfach. Man hat Dienstmädchen, man hat eine Köchin und Leute, die sich um den Garten kümmern. Lange Zeit habe ich mich dagegen gesträubt. Da bin ich immer um drei Uhr morgens aufgestanden, um Wäsche zu bügeln und die Badezimmer sauber zu machen, bis Bert schließlich ein Machtwort gesprochen hat und wir Personal eingestellt haben.« Schüchtern sah sie Bree von der Seite an.
»Es bereitet einem zweifellos große Genugtuung, seine Arbeit selbst zu machen«, entgegnete Bree. »Und es mussschwierig sein, sich auf einen Reichtum einzustellen, wie Mr. Chandler ihn angehäuft hat.« Spontan streckte sie den Arm aus und legte ihre Hand auf die von Carrie-Alice, die eiskalt war. »Ich nehme an, der Erfolg Ihres Mannes hat Ihnen nicht sonderlich behagt.«
»Das können Sie laut sagen.«
Das Dienstmädchen, eine stille, adrette Frau ungefähr in Carrie-Alices Alter, kam herein, stellte ein Tablett auf den Tisch und schenkte Tee ein.
»Aber wenn man diese Unmengen von Geld hat, kann man viele sehr befriedigende Dinge tun. Sehen Sie sich nur die Familie Gates an. Man kann sich um allerlei kümmern, wenn auch nicht um so althergebrachte und vertraute Dinge wie Hausarbeit.«
Carrie-Alice verzog das Gesicht. »Bert hielt nicht viel von Wohltätigkeit. Die beginnt zu Hause, sagte er immer. Und ich werd Ihnen mal was sagen. Er hat mit nichts angefangen. Mit absolut nichts. Und Sie sehen ja, was er erreicht hat. Das ist Amerika, Miss Beaufort. Bert war immer der Ansicht, dass Menschen mit genug Tatkraft alles erreichen können, und ich glaube das auch. Menschen, die arm sind, wollen arm sein.«
Bree warf Norah einen Blick zu, die ihr zuzwinkerte und sagte: »Sonst noch etwas, Mrs. Chandler?«
»Nein danke. Nehmen Sie zum Beispiel Norah«, fuhr Carrie-Alice fort, als das Dienstmädchen das Zimmer verließ. »Wir zahlen ihr das übliche Gehalt, obwohl sie einen Highschool-Abschluss hat. Doch sie zieht es vor … wie sagt Cissy immer? … in Stellung zu sein. Niemand hat sie gezwungen, zu uns zu kommen und für uns zu arbeiten. Genauso wie niemand die Leute zwingt, inProberts Geschäften zu arbeiten. Ich meine, die Sklaverei ist 1863 abgeschafft worden. Heutzutage hat doch wirklich jeder die Wahl.«
»Das stimmt nicht«, entgegnete Bree so ruhig wie möglich. »Es gibt nicht viele Wahlmöglichkeiten, wenn die besser bezahlten Jobs gerade durch solche Läden wie Marlowe’s aus dem Wirtschaftsleben verdrängt worden sind.« Sie hob die Hand. »Ich bin nicht hier, um mich mit Ihnen über die Nachteile der freien Marktwirtschaft zu streiten, Mrs. Chandler. Eins möchte ich allerdings sagen: Ich glaube, je mehr man hat, desto mehr ist man auch verpflichtet, etwas davon abzugeben. Und ich entschuldige mich, wenn ich Sie gekränkt haben sollte, obwohl ich bei Ihnen zu Gast bin. Vielleicht sollten wir nun aber lieber über das Angebot reden, das die Staatsanwaltschaft gemacht hat.«
Carrie-Alices Gesicht hatte sich rosa gefärbt. Bree war sich ziemlich sicher, dass dies für ihr eigenes Gesicht auch zutraf. Das harmonische Verhältnis, das zwischen den beiden Frauen bestanden hatte, hatte sich schnell wieder
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