Anwältin der Engel
Schwester es liebt, im Rampenlicht zu stehen. Statt dass der Fall in der Versenkung verschwindet, tritt sie in Savannahs berüchtigtster Talkshow auf und mimt das schlimme Mädchen. Und sie können sie auch nicht in irgendeiner netten kleinen Klinik verschwinden lassen, weil die Polizei und dieStaatsanwaltschaft sich ja bereits eingeschaltet haben und sie in Haft ist.« Bree unterdrückte ein Lachen. »George muss den Eindruck gehabt haben, er spiele Haut-den-Maulwurf.«
»Und der Mord?«
»Welcher?« Bree erhob sich, um im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Cordy hat mich angerufen«, sagte Hunter, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte.
»Aha«, erwiderte Bree. Sie warf einen Blick auf sein Gesicht, das jetzt alles andere als freundlich wirkte. Immerhin brüllte er sie nicht an und verlangte den Namen des Zeugen zu wissen. Zumindest noch nicht.
»Inoffiziell«, fuhr er fort. »Und ich musste mich bereit erklären abzuwarten, bis Sie die versprochenen Beweise geliefert haben. Sie hat was von achtundvierzig Stunden gesagt.«
Bree verzog das Gesicht. »Wenn sie das gesagt hat, werd ich mich auch dran halten müssen.«
»Sie glauben also, der Typ, der Chandler auf der Skidaway Road geblendet hat und anschließend in die Schlucht runter ist, und der, der Shirley zum Schweigen gebracht hat, das sind ein und dieselbe Person?«
»Springt doch ins Auge, oder? Ich meine, das eine ergibt sich aus dem anderen.«
Hunter gähnte. »Entschuldigung. Ist gestern Abend spät geworden, und heute Abend wird’s auch nicht anders sein. Nein, nicht unbedingt. Es ist lediglich eine Theorie. Und Sie arbeiten mit viel zu vielen Vermutungen.«
»Deshalb sollten Sie mir erlauben, mit der Untersuchung fortzufahren. Damit sich die Vermutungen auch als richtig erweisen können.«
»Ich will Ihnen sagen, was man wirklich untersuchen sollte«, entgegnete er mit mehr als nur einer Spur Sarkasmus in der Stimme. »Warum hat man Shirley Chavez umgebracht? Es ist also durchgesickert, dass sie bestochen wurde. Na und?«
»Na, das müsste Ihnen doch ebenfalls ins Auge springen, Lieutenant«, fuhr sie ihn an. »Weil ich herumgeschnüffelt habe, um den Mord an Probert Chandler aufzuklären, deshalb. Wenn ich den Typ ausfindig mache, der Shirley getötet hat, finde ich auch den Typ, der Probert mit der Taschenlampe den Schädel eingeschlagen hat.« Sie biss sich auf die Lippe, um ihre Tränen zurückzudrängen. Vor ihrem inneren Auge sah sie deutlich Shirleys zerschmetterten Schädel vor sich. »Missy hatte recht. Ich habe die ganze Sache erst in Gang gesetzt.« Sie räusperte sich laut. »Das dürfte es jedenfalls leichter machen, ihn zu schnappen. Diesmal muss er doch Spuren hinterlassen haben. Und ihr von der Polizei versteht euer Handwerk und seid sehr gründlich, nicht wahr?«
»Schon möglich.« Hunter holte sein Handy heraus. »Markham? Ich möchte, dass Sie noch auf etwas anderes achten, wenn Sie die Leute überprüfen, die heute auf dem Gestüt waren. Ich suche nach einer Verbindung zu Marlowe’s oder dem Rechtsanwalt von Marlowe’s. Stubblefield, genau.« Er grinste säuerlich ins Handy. »Ja, wär das nicht schön? Aber dabei hat er sich eines Laufburschen bedient. Eines Anwalts namens Payton McAllister.« Er steckte das Handy wieder in die Tasche.»Interessante Anhaltspunkte. Bei uns gibt es einige, die entzückt wären, wenn sie Stubblefield drankriegen könnten.«
Brees Ansicht nach würde man damit der Allgemeinheit einen echten Dienst erweisen. »Was können Sie mir über den Fall hier erzählen?«, fragte sie. »Missy Trask hat die Leiche gefunden? Ist das richtig? Hat irgendjemand irgendetwas gesehen? Haben Sie irgendwelche Anhalts punkte?«
Hunter trat von der Wand weg und streckte sich. »Ich werde mir jetzt Mrs. Trasks schriftliche Aussage holen. Wenn Sie mitkommen wollen, kann ich Sie nicht daran hindern.«
Das bedeutete – von Hunter kommend – ein gewaltiges Zugeständnis. Doch Bree zögerte. Abel war bei Missy. Und Virginia ebenfalls. Bree war müde. Sie hatte einen langen Tag hinter sich, der wahrhaft grässlich zu Ende gegangen war. Wenn sie sich noch einmal Missys vorwurfsvollem Blick aussetzen musste – und auch noch in Gegenwart von Abel –, dann würde sie auf der Stelle sterben. Virginia würde ebenfalls da sein – Virginia, die seit ihrer ersten, Jahre zurückliegenden Begegnung Bree verabscheut hatte. Doch Gott hasst Feiglinge, und die meisten Polizisten tun das ebenfalls.
»Gut«, sagte sie.
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