Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
dass er aussteigen konnte.
Sie folgte ihm in den Hausflur. Er war mit einem dunkelgrünen Teppich ausgelegt, und die Wände waren in dem gleichen zurückhaltenden Farbton gehalten wie im Erdgeschoss. Gegenüber dem Aufzug war ein Heizkörper mit einer reich verzierten Abdeckung zu sehen, die wie ein viktorianisches Grabmal wirkte. Darüber schimmerte ein breiter Spiegel mit Goldrahmen. Rechts und links des Fahrstuhlschachts führte je eine Treppe nach unten und nach oben. An den Wänden des Treppenhauses hingen Drucke in eleganten Rahmen. An den beiden Enden des Korridors befanden sich Türen aus edlem Holz mit einer Messingnummer.
»So, da wären wir. Nummer neununddreißig. Gleich da vorn. Leider funktioniert die Heizung hier oben nicht so gut, deshalb habe ich ein paar Radiatoren in Lillians Schlafzimmer, in der Küche und in den beiden Räumen, die sie benutzt hat, aufgestellt. Irgendwann müsste ich die dann zurückbekommen.«
»Selbstverständlich.« Apryl blickte auf Stephens grauen Hinterkopf, während er mit dem Schlüsselbund klapperte, um den richtigen Schlüssel abzuziehen. Unter der glänzenden grauen Weste zeichnete sich sein muskulöser Oberkörper ab. Er verströmte die Aura eines ehemaligen Soldaten. Wahrscheinlich waren solche Männer mit Autorität bei den Bewohnern des Hauses besonders geschätzt. Ihre Großtante war sicherlich froh gewesen, einen so verlässlichen Mann in der Nähe zu haben.
»Ich fürchte, da drinnen herrscht ein ziemliches Durcheinander. Sie wollte keine Haushälterin und ließ nicht zu, dass irgendjemand etwas wegbringt. Vermutlich hat sie in den sechzig Jahren nichts weggeworfen. Wie auch immer, hier sind die Schlüssel. Wir haben noch einen Satz davon im Erdgeschoss – das ist so üblich, falls es einen Notfall geben sollte. Ich muss jetzt schnell weiter. Es kommen Handwerker, die nach den Satellitenschüsseln auf dem Dach schauen wollen. Aber melden Sie sich gern an der Rezeption, wenn Sie etwas brauchen. Piotr ist bis halb sieben dort, und danach übernimmt Seth, der Nachtportier. Ich bin hier den ganzen Tag über, so gut wie jeden Tag. Sie können die Rezeption über das Telefon in der Küche anrufen. Wenn Sie den Hörer abnehmen, kommt die Verbindung automatisch zustande.«
Stephen musterte sie eingehend. Offenbar konnte er sich nicht vorstellen, dass sie gern allein in der Wohnung blieb. »Ich fürchte, Sie haben eine Menge zu tun, Apryl. Ich glaube nicht, dass in den letzten Jahren dort sauber gemacht wurde. Das ist auch die einzige Wohnung, in der sich das Badezimmer noch im Originalzustand befindet. Wenn Sie das Apartment verkaufen wollen, müssen Sie vorher eine Menge Arbeit reinstecken. Vielleicht müssen Sie es komplett renovieren lassen, um einen adäquaten Preis zu erzielen.« Er ließ sie vor der geöffneten Wohnungstür stehen und stapfte über die Treppe nach unten.
Drinnen waren offenbar die Vorhänge zugezogen, denn obwohl Stephen mit einer Hand durch den Türspalt gegriffen hatte, um das Licht einzuschalten, konnte man zunächst außer einem schäbigen und vollgestellten Flur nur wenig von der altmodisch eingerichteten Wohnung erkennen.
Schon der Gedanke daran, dass sie jetzt dort reingehen musste, machte ihr zu schaffen. Sie fühlte sich verletzlich und irgendwie schuldig, als wäre sie ein Eindringling. Schon auf der Schwelle spürte sie, wie der Hauch der Vergangenheit ihr entgegenströmte. Sogar hier draußen roch alles uralt und verkommen. So ähnlich wie das Schlafzimmer ihrer Großmutter in New Jersey, das seit den Vierzigerjahren nicht mehr verändert worden war. Aber dieser Geruch hier war tausendmal stärker. Als wären die Fenster nie geöffnet worden und alles dort drinnen uralt, staubig und verblichen. Die Vergangenheit hatte sich dort festgesetzt und wollte nicht weichen. Das galt für das ganze Haus, musste sie nun ehrlicherweise zugeben, nachdem ihre erste Begeisterung sich gelegt hatte. Die düsteren Treppenhäuser, die schwach erleuchteten Korridore. Das alles stammte doch aus einer ganz anderen Zeit. Vielleicht fanden die Bewohner des Hauses das ja gut. Weil es irgendwie traditionell wirkte oder so.
Sie steckte den Kopf durch die Tür und verspürte den idiotischen Drang, den Namen ihrer Großtante laut zu rufen. Denn aus irgendeinem seltsamen Grund machte diese Wohnung nicht den Eindruck, als wäre sie verlassen.
Der Chefportier hatte nicht übertrieben: Lillian hatte sich wirklich sehr von der Außenwelt zurückgezogen. Der
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