Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
gepresst waren, dass sie schon eine holzartige Konsistenz hatten. Er nahm noch ein Reinigungsmittel und eine Flasche Wasser mit. Alles zusammen kostete so viel, dass er seine zehn Pfund fast ganz aufbrauchte.
Das Gesicht noch immer in der Kapuze verborgen, den Kopf aber leicht erhoben und erwartungsvoll zur Seite geneigt, wartete der Junge auf Seth, der über den nassen, reflektierenden Asphalt nach Hause eilte. Dieses Mal war es anders. Eine Kontaktaufnahme war unvermeidlich. Der Junge war auf die Straßenseite gewechselt, die er entlangging. Seth lächelte vor sich hin. Vielleicht würde er seine peinigenden nächtlichen Visionen ja loswerden, wenn er mit der realen Verkörperung dieser Gestalt aus seinem Unterbewusstsein zusammentraf.
Er hielt an und blieb neben dem Eingang zum Pub stehen. Der Junge wartete am Rand der Parkbucht. Der Regen hatte den Khaki-Stoff seines Mantels schwärzlich verfärbt.
Seth sah in den Himmel, der wie eine undurchdringliche trübe, tintenartige Masse über allem hing. Wassertropfen fielen herab und blitzten im Schein der Straßenlaternen kurz auf. Er wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Sein Mantel fühlte sich schwer und mit Feuchtigkeit vollgesogen an, aber sein Körper darunter war warm. Seine Muskeln waren locker, seine Haut heiß. Mittlerweile hatte er den Punkt überschritten, wo Müdigkeit, Hunger oder Erschöpfung noch eine Rolle spielten. Er blickte zu dem Jungen hinüber, der wartete und ihn ruhig betrachtete. »Hab dich hier schon öfter gesehen. Bist du in Schwierigkeiten?«
Es folgte ein langes Schweigen und schließlich ein Kopfschütteln. Seth glaubte, im unteren Bereich der Kapuze den Anflug von etwas Rotem zu erkennen, aber er war sich nicht sicher. »Hast du dich verirrt? Bist du obdachlos oder so?«
Wieder ein Kopfschütteln.
»Also … was dann? Warum stehst du hier rum? Du kannst hier natürlich rumstehen, klar, ist ja nicht verboten.«
Der Junge sagte nichts.
»Aber es ist ziemlich feucht hier.« Wieder schaute Seth in den Himmel.
»Macht mir nix aus«, sagte der Junge schulterzuckend. Seine Stimme klang fest genug, um Seth klarzumachen, dass er sich bestimmt nicht fürchtete.
Seth lächelte, merkte aber, dass sein Lächeln das Innere der Kapuze nicht erreichte. Darin schien es sehr still und leer zu sein. »Und kalt«, murmelte er.
Der Junge zuckte wieder mit den Schultern. Eins von diesen Kindern, die ewig aufbleiben, Erwachsene mit dem Vornamen ansprechen, nie nach Hause gehen, Klingelstreiche machen, wenn andere Leute beim Abendessen sitzen, und jeden, der sie anschreit, ausdruckslos ansehen. Seth spürte, dass sich etwas Hartes und Gefühlloses hinter dieser Kapuze verbarg, aber nichts, das unreif, bösartig oder kriminell war. Nur etwas Verlorenes, das ohne Selbstmitleid auskam. »Sind deine Eltern da in der Kneipe drin?«, fragte Seth und kam sich sofort lächerlich vor, weil die Frage irgendwie misstrauisch geklungen hatte. Das war genau die Art von Frage, die weißhaarige Männer stellten, wenn sie sich aus dem Beifahrerfenster ihres klimatisierten Autos beugten, um eine fremdes Kind in den Wagen zu locken. Er wollte nicht, dass dieser Junge dachte, er wäre ein Kinderschänder.
Der Junge schüttelte den Kopf und sah die Straße entlang. Irgendwas an seinem Blick wirkte völlig hoffnungslos.
»Du solltest nach Hause gehen. Dahin, wo es warm ist. Fernsehen gucken.« Was konnte er noch sagen, um irgendwie mit diesem Jungen in Kontakt zu kommen? »Warum stehst du denn hier rum? Es ist doch nass und kalt.«
Immer noch keine Antwort. Er überlegte, ob er ihm Geld anbieten sollte, für Zigaretten oder Süßigkeiten, aber dann fiel ihm ein, dass er ja gar keins mehr hatte. Seufzend wandte Seth sich ab.
»Hab schon Schlimmeres gesehen.«
»Stell dich wenigstens irgendwo unter. Du wirst ja total nass.«
»Macht mir nix aus.«
»Aber deine Mama wird sich nicht freuen, wenn du eine Lungenentzündung bekommst.«
»Hab keine.«
»Keine Mutter. Dann halt dein Vater.«
»Wohn bei meinem Kumpel.«
War das ein eingeübter Text, um Mitleid zu erregen? »Wie auch immer, geh lieber nach Hause. Es ist doch nicht angenehm hier draußen.«
Zwei Mädchen ohne Regenjacken liefen vorbei. Ihre blonden Haare waren straff aus der Stirn gekämmt, und Seth fragte sich, ob der Regen wohl in der Lage war, ihr weiches Haar zu durchdringen. So frisiert sah das Haar sowieso immer feucht aus. Sie trugen Sportschuhe ohne Socken, enge schwarze Leggins und weit
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