Apfeldiebe
den er kannte! Diese Augen – Timi kamen sie wie die Augen eines Verrückten vor. Sie sahen an Timi vorbei, durch ihn hindurch. Timis Augen folgten diesem Blick. Max starrte auf die Flasche am Boden, als habe er noch niemals zuvor im Leben so etwas gesehen. Wieso nimmt er sie nicht? , fragte sich der Kleine . Er soll trinken und sich zurück in den richtigen Max verwandeln!
Timi überwand seine Angst, gab seine Ohren frei und hielt Max die Flasche erneut hin.
» Du musst trinken«, flehte er. »Bitte, trink!«
Aber Max’ Augen kannten kein Halten. Noch befürchtete er eine neue Lüge. Noch war seine Angst vor den Spinnen größer als sein Durst. Doch plötzlich blieb Max’ Blick an seinem kleinen Bruder hängen und so etwas wie Erkennen schwappte in den Dreizehnjährigen. Sein Blick durchbohrte Timi, die Wasserflasche und wieder Timi.
» Wo sind sie?«, fragte er. »Wo sind sie hin?«
» Wer?«, fragte Timi. »Hier ist niemand außer dir und mir.« Max aber konnte dem Bruder noch nicht glauben. Er blieb in seiner Ecke.
» Die Spinnen. Tausende Spinnen.«
» Max, hier ist nichts.« Timi wagte sich die letzten zwei Schritte nach vorn. Er kniete sich neben Max, träufelte etwas Wasser über seine Finger und benetzte damit Max’ Lippen. »Du musst keine Angst haben, Max. Schau, ich hab dir Wasser mitgebracht, ganz frisch.« Er setzte dem Älteren die Flasche an den Mund, kippte sie, bis die Flüssigkeit über dessen Lippen rann, in Max’ Mund, über Kinn und Brust des Jungen. Alex und Kasimir tasteten sich zurück in den vorderen Raum.
Mit Worten konnte Timi seinen Bruder nicht versöhnen. Was aber die aneinandergereihten Entschuldigungen des Achtjährigen nicht vermochten, schaffte das Wasser. Max spürte es auf seinen Lippen. Trugbilder aber konnte niemand spüren, also musste das Wasser echt sein. Und somit auch Timi. Max berührte Timis Hose, den Arm des kleinen Bruders – echt.
Plötzlich konnte Max zwar nicht vergeben, aber er konnte wenigstens über Timis Verrat hinwegsehen. Das Wasser hatte die Spinnen aus dem Raum gespült, das Wasser oder das so wunderbar hell strahlende Licht der Taschenlampe. Kasimirs Lampe? Das Ding mit der Kurbel? Egal, Hauptsache Licht.
Nur mit Mühe und Timis Hilfe schaffte es Max auf die eigenen Beine, nur ganz langsam folgte er seinem Bruder und musste sich dabei wie ein Greis rechts und links an den Fässern festhalten. Konnte der gesunde Körper eines Dreizehnjährigen in so kurzer Zeit all seine Kraft verlieren? Ja, konnte er , antwortete sich Max. Aber vielleicht konnte er auch ebenso schnell wenigstens einen Teil der alten Kraft und Energie zurückgewinnen (Wozu?), Max spürte, dass dies ging. Das Wasser, das er in vielen kleinen Schlucken getrunken hatte und von dem er auch jetzt nach jedem zweiten Schritt etwas nahm, wirkte wie ein Elixier, ein Zaubertrank, der nicht nur die bösen Träume aus seinem Kopf spülte, sondern gleichzeitig durch seinen Körper sickerte und einen Muskel nach dem anderen wiederbelebte. Ja, er lebte, wenn er auch nicht wusste, wozu. Max lebte und er wollte leben.
»… und zuerst wussten wir nicht, wie wir das Wasser nach oben kriegen sollten. Aber dann hatte Alex die Idee mit der abgeschnittenen Flasche und damit klappt es echt gut!«
Max hörte nur mit einem Ohr zu. Sie hatten den Raum mit den Fässern fast durchquert und Timi quasselte ohne Punkt und Komma. Toll, dachte Max, sie hatten Wasser beschafft. Ganz, ganz toll. Und weiter? Timi tat, als sei dieser Brunnen der Ausgang aus der Ruine, als läge da unten ein Handy – aufgeladen und mit astreinem Empfang. Das Wasser, so Max’ Vermutung, dürfte ihre Leiden nur verlängern. Soweit er wusste, zog sich der Hungertod ein ganzes Stück länger hin als sein trockenes Geschwisterlein. Trotzdem folgte Max Timi, trotzdem zog es ihn zum Wasser und zu seinem Bruder und zu Alex. Max wollte nicht mehr allein sterben, nicht noch einmal.
»… dass du uns hilfst. Ich wette, du mit deinen starken Armen bringst uns in null Komma nichts hier raus! Mit dir schaffen wir es!« Gelobet sei deine Naivität .
Alex kam ihnen entgegen, nahm Max am Arm und führte ihn die letzten Meter. Max setzte sich neben Rufus’ Grab. Alex strahlte dabei, als seien sie die dicksten Freunde. Lag es an diesem Wasser? Löste das die Zungen? Verwandelte es Bosheit in Heideidei ? Zuerst wurde man geschlagen und getreten und allein und ohne Wasser zurückgelassen und dann dies hier? Und wo war dieses Mädchen, wo
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