Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
Vom Netzwerk:
dieser Fäden, die seit Stunden an Max’ Lippen hingen.
    Max löschte das Licht, setzte sich und lehnte sich gegen die Wand. Etwas Putz rieselte herab und ihm in den Nacken. Kleine Spinne, du bist jetzt am schönsten Platz der Welt. Gott hat dich bestraft, weil du, weil du … Max fiel keine Sünde ein, derer sich das Tier schuldig gemacht haben könnte, hielt dies aber auch nicht für so wichtig. Irgendetwas würde sie getan haben, jeder ist schuldig. Jeder. Er war in diesem Augenblick der Gott dieses Tierchens, ein Spinnengott sozusagen und verstanden hätte die kleine Sünderin all die Gründe ihres vorzeitigen Ablebens ja doch nicht, wie auch der Schwarze bestimmt nichts verstanden hatte, als der liebe Gott ihm einen Stein auf den Kopf geknallt hatte. Weil er unbedingt den Funkmast anbeten musste , fiel es Max ein und er wusste, dass in der Bibel kein einziges Wort von Funkmastanbetung stand, der Schwarze also gesündigt hatte und rums. Aus die Maus. Vielleicht hatte Spinni ja auch einen Funkmast angebetet? Wohl eher nicht, vielleicht aber etwas anderes und Max hieß nun die Strafe.
    Die Spinne krabbelte über Max’ Zunge und Max dachte zum ersten Mal an die Möglichkeit, dass das Tier giftig sein könnte, sie ihn in den Mund biss, er starb und sie fortan in eben diesem Mund lebte und durch die Nasenlöcher ein und aus ging; durchs rechte rein in die gute Stube und durchs linke wieder hinaus. Sie würde in Max’ Mund ihre Kinder großziehen und denen von diesem Wunder erzählen, vom Tag, an dem eine nahrhafte Behausung vom Himmel gefallen war – ein Geschenk Gottes sozusagen. Wegen guter Führung überreiche ich dir diese essbare Wohnstatt. Halte sie in Ehren, vermehre dich und verkünde überall von meiner unendlichen Gnade, meiner Güte und Liebe allen Spinnentieren gegenüber .
    » Scheiß drauf«, flüsterte Max, drückte seine Zunge gegen den Gaumen und änderte den Lauf der Spinnengeschichte. Keine neue Religion, keine Liebe, keine Gnade, nur ein bittersüßer Geschmackscocktail, mehr blieb von der Spinne und ihrem Leben nicht übrig.
    Max ließ sich auf die Seite fallen. Er verspürte kein Hungergefühl, wusste aber, dass er Hunger hatte. Er vertrocknete langsam, ohne dabei permanent an Wasser in all seinen Formen denken zu müssen. Und ihm war kalt, ohne dass er fror. Noch hatte er sie nicht geschluckt, diese allerletzte Mahlzeit, noch lag sie ihm auf der Zunge. Wie schön sie ausgesehen hatte, wie filigran und zerbrechlich. »Du sollst nicht töten«, sagte er und verschluckte die Spinnenleiche. Ende gut, alles gut, jedenfalls für Spinni, die Märtyrerin dieses Raumes, die ihr kleines Leben gegeben hatte, um seines zu verlängern. »Gelobet seiest du in Ewigkeit. Amen.«
    Hatte er sie aus Versehen in eines ihrer Beine gebissen? Max setzte sich auf, die Frage stand plötzlich vor ihm und mit ihr eine ganze Reihe unangenehmer Bilder: Aus einem ihrer Armbeine lief Blut. Eine tiefe Wunde klaffte und das Spinnenherz klopfte und immer noch mehr Blut spritzte aus diesem Loch und all die unsichtbaren Spinnen hier im Raum sahen dies, sie verließen ihre Höhlen, Netze und Verstecke, krabbelten die Wände herunter – ein nicht enden wollendes Heer winziger Leiber. Sie ergossen sich wie in diesen Raum schießende Flüssigkeit (Wasser!) auf den Boden, brandeten heran, schlugen von allen Seiten gleichzeitig gegen Max’ Körper, schwappten darüber hinweg und vergruben ihn unter Tausenden kaum fingernagelgroßen Körpern. Und diese Körper wollten ihn, nur ihn! Sie sahen in diesem Kind keinen Gott, sondern den Tod und sie bissen ihn, krochen in Nase und Ohren, unter seine Augenlider. Zwei endlose Karawanen verschwanden in seinen Hosenbeinen und fanden auch da die Zugänge zu seinem Körper.
    Max warf sich auf die Seite, rollte über Spinnenleiber, tötete dabei weiter und immer weiter, steigerte seine Schuld ins Unermessliche. Er schlug sich ins Gesicht, versuchte, die Tiere aus seinem Kopf zu ziehen, aber es waren zu viele, viel zu viele, als dass ein Einzelner gegen sie hätte gewinnen können. Überall juckte es, überall bissen sie ihn, Max’ Mund füllte sich mit achtbeinigen Besuchern, die es sich in der neuen Bleibe gemütlich machen wollten und sofort in Gottes Geschenk bissen.
    » NEIN! GEHT WEG!«

    Max’ Schreie hallten bis in den vorderen Raum und rissen die Kinder aus dem Schlaf. Timi hatte sich nach der Enttäuschung bei seinem Bruder in den Schlaf geweint. Er sprang auf, Alex schaltete die

Weitere Kostenlose Bücher