Apfeldiebe
alle dachten sie das Gleiche: Wir werden sterben.
» Weiß einer noch, wie viele Tage inzwischen vergangen sind?«, fragte Alex. Interessierte ihn die Antwort auf diese Frage wirklich? Ließ sich mit dieser Antwort irgendetwas Sinnvolles anfangen? Nein und noch mal Nein, aber lieber eine überflüssige Frage stellen als in dieser Stille zu hocken, dem eigenen Herzschlag zu lauschen und den Atemgeräuschen der anderen zuzuhören.
» Fünf? Oder sechs.« Max hatte bis zum dritten Schlafen noch mitgezählt, dann kamen die Spinnen. Aber fünf oder sechs könnte passen, vielleicht auch sieben, wer wusste das schon. Auf jeden Fall dürften sie annähernd eine Woche verschollen sein.
» Glaubt ihr, dass sie noch nach uns suchen?«
» Bestimmt!«, antwortete Kasimir wie aus der Pistole geschossen. »Meine Eltern werden nie aufhören, nach mir zu suchen!«
» Da wäre ich mir bei meinem Alten nicht ganz so sicher«, sagte Alex und auch Max ging Ähnliches durch den Kopf. Vielleicht suchten sie wirklich noch, dann aber wohl eher mehr nach ihrem Timi als nach ihm. Mutter vielleicht, aber Stief Vater? Nein, Max schüttelte den Kopf, nein, der würde wohl eher froh sein, Max endlich aus dem Haus zu haben, vor allem auf diese Weise, denn verschüttet in der Roggenbacher Ruine konnte Max niemandem etwas erzählen, er nahm alles mit sich ins Grab. Besser ging es eigentlich nicht, mit Max’ Wissen ausgestattet, könnte man sogar auf die Idee kommen, Timis Vater habe dies alles hier arrangiert. Allerdings müsste er dann aber doch noch seinen Sohn retten, seinen richtigen Sohn, danach aber sah es im Moment ganz und gar nicht aus. Im Gegenteil, Max vermutete, dass Timi wohl als Erster die Sache hier beenden dürfte. Timi zitterte, ob vor Kälte oder Angst – unwichtig.
» Mein Vater wird alles auf den Kopf stellen, um uns zu finden! Und irgendwann kommt er auch hier zur Ruine«, und spürt, dass ich hier unten sitze , dachte Kasi, sagte aber: »und ihm fällt bestimmt irgendwas auf. Vielleicht sieht man ja von draußen den Erdrutsch? Vielleicht ist ja einer der Türme eingestürzt oder so.«
» Hoffentlich kommt dein ach so toller Papa, bevor wir alle verhungert sind«, sagte Max. »Gibt es eigentlich irgendwas, was der nicht kann?« Kasi überlegte, aber ihm fiel nichts ein und Max fragte auch nicht weiter. Er hatte weder Lust auf einen Streit mit dem Mädchen noch wollte er noch mehr von dessen tollen Eltern hören, für ihn stand fest, dass Kasimir log, denn wie der es immer darstellte, konnte es gar nicht sein. Aber wen interessierte jetzt noch die Wahrheit, wen eine Lüge?
» Ich hab Angst vor dem Sterben.« Timi setzte sich auf und schmiegte sich an seinen Bruder. »Ich will das nicht.«
» Ich habe auch Angst«, sagte Alex, ganz leise nur, aber jeder verstand ihn. »Und ich will das alles auch nicht, aber ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Leider.« Auch Alex setzte sich jetzt auf. Er holte tief Luft. »Es tut mir leid. Also, dass ich euch hier runtergeführt habe, meine ich. Es tut mir ehrlich leid.«
» Und? Das bringt jetzt auch nichts mehr«, sagte Max. »Ob es dir leid tut oder nicht, es ändert nix. Leider.«
» Trotzdem wollte ich euch das sagen. Ich dachte, wir haben ein paar lustige Stunden …«
» Am Anfang war’s ja auch ganz lustig!«
» Für dich vielleicht!«, sagte Kasi und hielt sich den Arm.
»… aber dass wir alle sterben, das wollt ich echt nicht.« Selbst Max hielt den Mund. Er spürte, dass Alex das ehrlich meinte.
» Bleibt dann gar nichts von uns übrig?«, fragte Timi und wischte sich seine Tränen an Max’ T-Shirt ab. »Sind wir dann einfach … weg?«
» Unsre Knochen bleiben hier«, erklärte Max. »Das wird von uns übrig bleiben.«
» Nein«, Max hatte ihn wieder nicht verstanden, »ich meine so wie, wie …«
» Unsere Seele?«, fragte Kasi.
» Ja. Auch. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir einfach nicht mehr leben und alles weitergeht. Ich habe immer gelebt, seit ich lebe. Es muss doch noch irgendwas kommen. Danach, meine ich.«
» Wir kommen doch in den Himmel«, sagte Kasi und so, wie er es sagte, nahmen es sogar Max und Alex widerspruchslos hin. Kasis Stimme formulierte keine Hoffnung, keine Vermutung, sondern eine Tatsache und in dieser Stimme schwang dabei eine unterschwellige Anklage gegen Timi, als könne Kasi die Zweifel des Achtjährigen absolut nicht verstehen.
» Sicher?«, wagte Timi trotzdem zu fragen. Natürlich kannte auch er all das, was
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